BERGMANNSTRASSE
: Einer der Freaks

Ihm war es peinlich, hier so zu liegen

Ich war vom Friedhof in der Bergmannstraße gekommen. Er hatte auf dem Pflaster auf dem Rücken gelegen und war ganz bleich. Ein dünner Altfreak mit grauen Haaren, gelben Zähnen, zuen Augen. Er sah aus wie diese Freaks, die ich als Junge toll gefunden hatte, nur paar Jahre älter. Ich hatte mich neben ihn gekniet und gefragt, ob alles okay sei.

Er hatte versucht, sich aufzurichten, ich hatte versucht, ihn sanft daran zu hindern. „Du hast bestimmt eine Gehirnerschütterung.“ Nein, nein, alles sei okay. Seine Stimme war angenehm. Ihm war es peinlich, hier so zu liegen. Er sei wohl gestürzt, eben bei dieser Treppe da. Da, wo sein Hinterkopf gelegen hatte, war eine kleine Blutlache. Er legte seinen Kopf wieder aufs Pflaster und schloss die Augen. Leute kamen vorbei und fragten, was wäre und ob sie einen Krankenwagen rufen sollten.

Eine Frau aus dem Haus, vor dem der Altfreak lag, ging in ihre Wohnung und holte ein Kissen. Wir schoben das dunkelblaue Kissen unter den Kopf des Mannes, dem es jetzt auch nicht mehr ganz so furchtbar peinlich schien, hier zu liegen, in der Obhut ihm unbekannter Mitbürger. Wir standen ein bisschen unschlüssig um ihn herum und wussten gerad nichts zu sagen, während die Sonne auf uns runterknallte. Manchmal ein: „Wann hast du denn angerufen?“ Und dann: „Und die haben gesagt, sie würden gleich kommen.“ – „Die kommen bestimmt gleich.“

Sie kamen dann auch mit dem Krankenwagen. Ein Kreuzberger Türke und sein deutscher Kollege, beide vielleicht dreißig. Sie machten einen kompetenten Eindruck. Dem Mann, der auf dem Pflaster lag, war’s wieder ziemlich unangenehm, für einen Moment, dann fügte er sich höflich seinem Schicksal. Und ging, gestützt von den beiden Männern ins Auto. Eine Viertelstunde später stand der Krankenwagen immer noch da. Dann fuhr er los und auch ich ging nach Hause.

DETLEF KUHLBRODT