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Klar kann ich den Moonwalk tanzen!

In ihrem Buch „Klar denken“ erläutert Woo-kyoung Ahn sehr charmant, wo und warum wir eigentlich ständig falsch liegen

Von Katharina Granzin

Klar zu denken ist eine der schwierigsten Übungen überhaupt. Schließlich sind unsere Hirne keine Computer, sondern lebende Materie, und was in ihnen vorgeht, ist geprägt von evolutionär bedingten Grundeinstellungen, die zu überwinden ein enormes Maß an Bewusstheit voraussetzt. „‚Denkfehler‘passieren, weil wir auf eine ganz bestimmte Weise verdrahtet sind“, schreibt Woo-kyoung Ahn. „Fehlerhafte Schlussfolgerungen sind Nebenwirkungen unserer hoch entwickelten Kognition, die uns als Spezies sehr weit gebracht hat und die beeinflusst, wie wir in dieser Welt überleben und gedeihen.“ Sogar ein bewusster Umgang mit kognitiven Schranken schützt nicht davor, immer wieder in Denkfallen zu tappen, wie die Autorin erfrischend offen mit Anekdoten illustriert.

Woo-kyoung Ahns Buch gründet auf zahlreichen Studien, die von KollegInnen oder ihr selbst durchgeführt wurden; ein häufig zitierter Ideengeber ist der Verhaltensökonom Daniel Kahneman. Die Autorin selbst ist Professorin für Psychologie in Yale. Mit einer Szene im Hörsaal eröffnet sie den Anekdotenreigen über Fehleinschätzungen: Nachdem das gesamte Auditorium mehrfach sechs Sekunden einer leichten Choreografie der koreanischen Boygroup BTS angesehen hat, kommen zehn Freiwillige nach vorn, die glauben, die Sequenz vom Zusehen gelernt zu haben, um die sechs Sekunden nachzutanzen. Es ist ein Experiment, das jedes Mal, wie Ahn schreibt, in großem Gelächter endet und den sogenannten Fluency-Effekt oder Verfügbarkeitseffekt beschreibt, der uns glauben lässt, wir könnten etwas ausführen, wenn wir nur oft genug gesehen haben, wie jemand anders es mühelos bewältigt.

Ein einfaches Mittel gegen jede Selbstüberschätzung, schreibt Ahn, sei es, Dinge tatsächlich praktisch auszuprobieren. Und mehr noch: „In einer Studie zeigte sich, dass dies ein probates Mittel gegen politischen Extremismus ist.“ Sobald die „Wissensillusion“ der TeilnehmerInnen entsprechender Studien in sich zusammengefallen war, wurden ihre Ansichten zu den betreffenden Themen messbar weniger extremistisch. Und auf der anderen Seite: „Interessanterweise beharrten sie auf ihren extremen Ansichten, wenn man sie nur mit Gegenargumenten konfrontierte.“

Verwandt mit der Wissensillusion dürfte der „Planungsfehlschluss“ sein, den wir von uns selbst und in größerem Maßstab aus zahlreichen Bauprojekten kennen, die von den Beispielen, die Ahn anführt, noch an Verplantheit übertrumpft werden dürften: etwa vom Flughafen in Denver, der „das veranschlagte Budget um sage und schreibe 2 Milliarden Dollar“ überschritt. Um wie viele Jahre das Zeitbudget in Denver überzogen wurde, schreibt Woo-kyoung Ahn zwar nicht, verrät aber, wie sie selbst sich vor dem Planungsfehlschluss schützt: „Ich kalkuliere immer 50 Prozent mehr Zeit ein, als ich ursprünglich geschätzt habe.“

Allerdings gibt es Schlimmeres als den Planungsfehlschluss. Zum Beispiel den Bestätigungsfehler, der „zu den schlimmsten Wahrnehmungsverzerrungen gehört, die ich kenne“, schreibt die Autorin. Gleichzeitig dürfte er zu den häufigsten gehören. Er beschreibt den Umstand, dass wir das Bedürfnis haben, eine einmal gefasste Ansicht unter allen Umständen bestätigen zu wollen, und daher nur solche Informationen aufnehmen, die diese Ansicht stützen. Man fühlt sich oft ertappt während der Lektüre dieses Buches, in dem LeserInnen von Rolf Dobelli viel Bekanntes wiederfinden dürften, dessen Autorin aber, da mitten in der akademischen Praxis stehend, aus erster Hand argumentiert und ihre Argumente mit ausführlicheren Beispielen illustriert.

Beruhigend ist es, von Woo-kyoung Ahn immer wieder zu hören, dass nichts verkehrt mit uns ist, wenn wir immer wieder Denkfehlern aufsitzen (auch Vögel haben sich in Experimenten als unvernünftig optimistisch erwiesen). Wir sind eben so gemacht. Aber jetzt nach dieser Lektüre, da wir wissen, dass dem so ist, können wir etwas dagegen tun: nämlich bewusst gegen unsere tief verankerten kognitiven Automatismen angehen. Aber klar: Niemand hat gesagt, dass das einfach ist.

Woo-kyoung Ahn: „Klar denken. Eine Anleitung. Aus d. Engl. v. Elisabeth Liebl. Rowohlt, Hamburg 2022, 288 S., 22 Euro

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