: Auf dem Feld des Antirassismus
Den Goslarer Kaiserring 2022 hat, dem Brexit zum Trotz, der Brite Isaac Julien erhalten. Dessen film- und medienkünstlerisches Werk kreist um die Schwarzen Kämpfe für Freiheit in den USA
![](https://taz.de/private/picture/5891948/516/1178633.jpg)
Von Bettina Maria Brosowsky
Auch ein undotierter Kunstpreis kann sein Renommee entfalten. Das beweist der Kaiserring der Stadt Goslar seit 1975. Er besteht in der Tat nur aus dem Schmuckstück: ein goldener Ring, den eine Reliefdarstellung des salischen Kaisers Heinrich IV – 1050 vermutlich in Goslar geboren, 1106 verstorben – mit den Insignien Reichsapfel und Zepter ziert.
Dieser Patron ist nicht ganz unglücklich gewählt. Denn er hat mit der Ableitung seiner Macht aus dem Gottesgnadentum für sich die höchste individuelle Legitimation reklamiert, musste mit seinem demütigenden Gang nach Canossa aber auch die Unterwerfung unter die Macht des Papstes erleiden. Der Goslarer Preis will in diesem Geiste ein Lebenswerk würdigen, selbst wenn es in der Mitte eines Schaffens oft gerade erst in seinen Konturen erkennbar wird.
Initial gingen Ring und Preis 1975 an den britischen Bildhauer Henry Moore (1898–1986), bekannt unter anderem für seine Großplastiken im öffentlichen Raum. Weitere Preisträger:innen, etwa Alexander Calder, Richard Serra, Christo, Cindy Sherman, Jenny Holzer, William Kentridge oder Barbara Kruger lassen das Herz jedes Museumsmenschen höher schlagen. Viele der Künstler:innen überließen dem Mönchehaus-Museum, Ausrichter der Preisträger:innenausstellung, eine ihrer Arbeiten – für lau oder wenigstens zu finanziell sehr günstigen Konditionen.
Allen Distanzierungsabsichten des Brexit zum Trotz wurde in diesem Jahr erneut ein Künstler aus Großbritannien ausgezeichnet. Der 1960 in London geborene Isaac Julien wird für sein Werk aus Film, Video und Fotografie geehrt, mit dem er den „künstlerischen Diskursen um Migration, Rassismus und Diversität wegweisende Impulse gegeben hat“, vermerkt es die Urkunde.
Diese Charakterisierung zeigt auch, welch große Wandlung der Preis in den zurückliegenden 47 Jahren vollzogen hat. Der Blick der Jury weitete sich in den 1990ern nach Osteuropa, gab anschließend jeglichen Eurozentrismus auf, bezog neben Malerei und Skulptur die Fotografie, Bewegtbilder und neue Medien ein, öffnete sich für politische Aussagen zu Kolonialismus, Sexismus und sexueller Selbstbestimmung oder globalen, ökonomisch-ökologischen Verwerfungen.
In der Person Isaac Julien fallen nun viele dieser Aspekte glücklich zusammen. Er ist der erste Schwarze Künstler im Preisträgerreigen, befasst sich mit der Befreiung der Sklav:innen in den USA, modernen Bürgerrechtsbewegungen sowie Schwarzer Homosexualität und der mehrfachen gesellschaftlichen Ausgrenzung, also intersektionalen Diskriminierung ihrer Protagonisten. Dieses Themenspektrum zeigt Juliens Goslarer Präsentation äußerst pointiert. Sie reduziert sich auf einen frühen und einen aktuelleren Film. Beide werden durch großformatige Fotografien ihrer Szenen und Darsteller:innen begleitet, die Julien als eigenständige Werke konzipiert.
Der 45-minütige Film „Looking for Langston“, der 1989 den künstlerischen Durchbruch Juliens bereitete, ist dem Dichter Langston Hughes (1901–1967) gewidmet. Er war in den 1920ern eine Leitfigur der ersten afroamerikanischen Kunstbewegung, der Harlem-Renaissance, als „the Negro“ kulturell „en vogue“ war.
In Schwarz-Weiß verschränkt Julien historisches Bildmaterial mit neu produzierten, glamourös inszenierten Sequenzen aus einem eleganten Nachtclub, den eine mondäne internationale Homosexuellen-Gemeinschaft Schwarzer und Weißer frequentiert. Ihrem so freigeistigen wie freizügigen Treiben wird von einer rechten Schlägertruppe und der Polizei ein gewaltsames Ende bereitet.
Der Film entstand auf dem Höhepunkt der Aids-Epidemie mit ihren vielen Todesopfern und reflektiert in Gegenwartspassagen diese aktuelle, neue physische Lebensbedrohung, ist mit Texten von James Baldwin und zeittypischem 20er-Jahre-Jazz eindringlich unterlegt. Der zweite 26-Minüter, „Lessons of the Hour“, wurde 30 Jahre später produziert. Er greift tiefer zurück in die Geschichte. Sein Protagonist ist Freiheitskämpfer Frederick Douglass (1818–1895), als Sklave aufgewachsen, Abolitionist und früher Medientheoretiker, der in der Daguerreotypie und der populären Ballade demokratische Repräsentationsformen begrüßte. Gleichwohl stellt sich ihm die fundamentale Frage, was der 4. Juli, der Unabhängigkeitstag der USA, für Schwarze bedeutet.
Neben seinem Studio in London ist Isaac Julien in den USA tätig, lehrt seit 2018 in Kalifornien. In diesem Jahr wurde er in den britischen Adelsstand erhoben und in die US-amerikanische Academy of Motion Picture Arts and Sciences berufen, die alljährlich die Oscars vergibt.
Kaiserring 2022: Isaac Julien, bis 29. 1., Mönchehaus-Museum Goslar
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