: Reserviert und ungeniert
Bewegen Abgeordnete aus Köln im Bundestag eigentlich was? Lale Akgün (SPD) und Werner Hoyer (FDP), beide leidenschaftliche Europäer, im Profil
aus Berlin ULRIKE WINKELMANN
Ein Bundestagsabgeordneter ist nicht mächtig. Jedenfalls nicht eine „Abgeordnete simplex“ wie Lale Akgün aus dem Wahlkreis Köln II. Sie nennt sich selbst so und gibt zu, dass sie nicht weiß, ob sie in Berlin eigentlich etwas bewegt. „Diese Frage stelle ich mir jeden Tag“, sagt Akgün. Aber wer sich bloß als „Stimmvieh“ für den Bundeskanzler fühlte, „der würde die Selbstachtung verlieren.“
Unüberhörbar, dass Akgün (51) in ihren drei Jahren im Bundestag eine gewisse Reserviertheit gegenüber dem Geschäft entwickelt hat. Als Gerhard Schröder nach der verlorenen NRW-Landtagswahl die Neuwahlen zum Bundestag ankündigte, war „Fassungslosigkeit“ ihr erstes Gefühl, „wie sollen wir das organisieren?“ ihr erster Gedanke.
Politik macht das Parlament gemeinhin in seinen Ausschüssen. Doch ausgerechnet der Innenausschuss, dem Akgün angehört, hat in der ablaufenden Legislatur unter dem Vorsitz von Cornelie Sonntag-Wolgast sehr gelitten. Innenminister Otto Schily macht ohnehin, was er will. Das Zuwanderungsgesetz, größter innenpolitischer Brocken seit 2002, wurde im allerkleinsten Kreis verhandelt. Akgün, der Islambeauftragten und migrationspolitischen Vize-Sprecherin der Fraktion, blieb die Aufgabe des Abnickens.
Als Mitglied des Europa-Ausschusses und gebürtige Istanbulerin hat Akgün jedoch plausibel und kosmopolitisch für eine Aufnahme der Türkei in die EU plädiert. Den Hang zur Außenpolitik schreibt Akgün den meisten Kölner Abgeordneten als großstädtisches Merkmal zu. Nicht nur ihre beiden Kölner SPD-Kollegen Martin Dörmann und Rolf Mützenich, sondern auch etwa der FDP-Mann Werner Hoyer sind leidenschaftliche Europäer und Außenpolitiker.
Hoyer (54) soll den zynisch zutreffenden FDP-Slogan „Partei der Besserverdienenden“ erfunden haben und war seit 1987 immer schon mehr als Abgeordneter simplex: Parlamentarischer Geschäftsführer, Staatsminister im Auswärtigen Amt bis 1998. So jemand würde nie behaupten, er hätte nichts zu sagen. Hoyer hat in den letzten Monaten oft deutliche Worte dafür gefunden, wenn Rot-Grün außenpolitische oder menschenrechtliche Unstimmigkeiten bewies. Als Erster kritisierte der Liberale offen Schröders Pläne, das Waffenembargo gegen China aufzuheben.
Die genervt-verweigernde Haltung der Politiker gegenüber der EU beschreibt er so: „Die Kollegen im Bundestag bleiben dabei alle mit angelegten Ohren in der Ackerfurche.“ Sollte der nächste Außenminister von der FDP gestellt werden (vieles spricht dafür), so wird Hoyer sicherlich dicht hinter ihm stehen.
Ob er eine CDU-Kanzlerin so deutlich kritisieren wird wie Schröder, ist offen. Nichts sagt Hoyer, der unter Außenminister Klaus Kinkel der sanften, integrierenden Diplomatie verpflichtet war, bislang dazu, dass die Merkel-CDU und die Westerwelle-FDP ungeniert gegen die Türkei antröten.
Es könnte aber sein, dass noch mehr Politiker als Hoyer und Akgün aus der Ackerfurche kommen, wenn die Themen Europa und Türkei unter einer mutmaßlich schwarz-gelben Regierung zum Dauerbrenner werden. Lale Akgün hat den Wahlkreis Köln II mit den eher konservativen Besserverdiener-Stadtteilen 2002 zwar noch „direkt“ geholt. Das dürfte kein zweites Mal gelingen. Ein guter Listenplatz ist ihr noch nicht sicher. „Schlimmstenfalls“, sagt sie, muss sie für ihren ursprünglichen Arbeitgeber, die neuerdings CDU-geführte Landesverwaltung NRW, dann „in Ostwestfalen Archive abstauben gehen“. Sie gibt sich gelassen: „Ich bin Psychotherapeutin. Ich habe gelernt, wie man mit Niederlagen umgeht.“