berliner szenen: Schlechte Kette, gutes Bier
Mein Fahrrad aus den Achtzigern hat Alterserscheinungen. Aktuell ist es die Kette, die dauernd rausspringt, vor allem dann, wenn es gar nicht passt. Gestern war so ein Tag. Kaum hatte ich das Haus verlassen und mich gegen die U-Bahn und fürs Fahrradfahren entschieden, da sprang die Kette ab. Natürlich versuchte ich selbst, sie wieder einzusetzen, aber das Ergebnis waren nur schwarze Finger. Also lief ich zu einem Fahrradladen und ließ mir die Kette wieder anlegen. Ich fuhr weiter. Kurz vor Kreuzberg verabschiedete sie sich dann zum zweiten Mal. Wieder probierte ich es selbst, wieder klappte es nicht.
Eine Frau riet mir, zur Köpi zu gehen. Dort würde es eine Fahrradwerkstatt geben. Also schob ich mein Fahrrad zur Köpi, einem besetzten Haus in der Köpenicker Straße, und fühlte mich leicht dämlich, als ich mit meinem Rad und der rausgesprungenen Kette vor dem verschlossenen Tor stand. Ich wollte schon gehen, als sich ein Mann mit Kampfhund und volltätowiertem Gesicht näherte und die Tür öffnete. Ich fragte ihn nach der Werkstatt. Die habe nur freitags auf, meinte er. Was denn los sei, fragte er. Ich zeigte auf die Kette und er deutete mir, mit reinzukommen. Vielleicht sei ja jemand von der Werkstatt da.
Keiner da, da nahm er sich selbst meines Problems an. „Hier, halt mal“, sagte er und drückte mir die Hundeleine in die Hand. Dann fluchte er, weil es nicht sofort klappte. Als die Kette wieder drauf war, waren seine Hände noch dreckiger als meine. Ich bedankte mich und steuerte den Trinkteufel an. Ich brauchte dringend ein Waschbecken – und ein Bier. In der Kneipe fiel mir auf, dass ich nur zwei Euro dabeihatte, woraufhin ich dem Barkeeper meine Leidensgeschichte erzählte und er mir das Bier zum vergünstigten Preis vermachte. Es gibt doch noch gute Menschen.
Eva Müller-Foell
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