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Archiv-Artikel

Beton, der schwebt und wächst

FILM Die Wunder der Architektur: Premiere von „Parabeton – Pier Luigi Nervi und römischer Beton“, dem neuen Film von Heinz Emigholz

Es sieht aus wie feingefaltetes Plissee, ist aber Beton. Die Sporthalle, die von außen an ein geköpftes Ei erinnert, steht in Turin. Gebaut wurde sie 1967. Eine Papierfabrik aus der gleichen Zeit scheint an Trägern zu schweben und ist immer noch in Betrieb. Die Bauten des 1891 geborenen italienischen Architekten, Ingenieurs und Betonpioniers Pier Luigi Nervi sind kühne Monumente einer Moderne, die mit neuen Baustoffen auch neue formale Freiheiten erreicht: Eine Gotik der Neuzeit, in der die Raster der Stahlbeton-Tragekonstruktionen den Dekor abgeben.

Das gilt für den Palazzo del Lavoro, den Nervi 1961 für eine Weltausstellung in Turin mit futuristischen Betonpalmen versah, die sich über mächtigen Pfeilern entfalten. Oben im Gesims hausen heute die Tauben, wie man hört. Denn der Filmemacher Heinz Emigholz, der diese Wunder vorführt, ist bekanntermaßen kein Mann verbaler Erklärungen und lässt die Zuschauer lieber Originalton-Atmosphäre schnuppern: Manchmal Gezwitscher, öfter aber Autos und Polizeisirenen im Hintergrund.

„Parabeton – Pier Luigi Nervi und römischer Beton“ ist Teil einer weltweit einzigartigen Serie an Filmen, die der Berliner Filmemacher und Kunsthochschulprofessor unter dem Titel „Architektur als Autobiografie“ einzelnen Baukünstlern der letzten Jahrzehnte gewidmet hat. Oder besser: dem Werk dieser Architekten, denn Persönliches (wie es etwa die Webseite der Deutschen Filmakademie fälschlicherweise meldet) kommt in den Filmen gerade nicht vor. Stattdessen erkunden Emigholz’ Architekturfilme ihre Objekte mit dem technischen Instrumentarium von Mikrofon und einer Kamera, die sich in statischen Einstellungen von unterschiedlicher Länge, aber gleicher Intensität an die Details herantastet.

Emigholz besucht die neunzehn noch erhaltenen Gebäude Nervis und montiert sie in chronologischer Abfolge. Eine Schrifttafel vermerkt neben Ort und Baujahr auch den Tag der Aufnahme: Eine ebenso entspannte wie beharrliche Haltung, die ohne Mätzchen die Aufmerksamkeit anspitzt und hält – auch weil Emigholz diesmal auf die angekippten Bildwinkel verzichtet, die bei manchen früheren Arbeiten enervierten. Zusätzlich zu dieser Bestandsaufnahme konfrontiert „Parabeton“ Nervis Gebäude mit solchen aus einer andern Zeit: Bauten der römischen Antike, die heute mit ihrem Fell aus Grasbüscheln und Gestrüpp wie räudige Fremdkörper in den italienischen Innenstädten herumstehen.

Verbunden mit der Moderne sind sie durch das Material. Denn auch die Römer haben mit Beton gebaut, mit opus caementitium, wie der Werkstoff in Latein hieß. Der größte solcher antiker Betonbauten ist wohl das Pantheon in Rom, der älteste ein Merkur-Tempel bei Neapel aus dem 1. Jahrhundert, der den Film eröffnet. Seine Kuppel gibt den Ton für Nervis kühne Schwünge vor.

Nur selten sind Menschen zusehen, wenn, meist sehr klein. Doch gegen Ende belebt sich die Szenerie zunehmend, Touristen, Graffiti, sogar andere Kamerateams tauchen auf. Bei der Audienzhalle im Vatikan, 1971 Nervis letztes Werk, gibt es dann sogar ein paar Fetzen Musik. Bloßer Zufall – oder doch komponiert?

SYLVIA HALLENSLEBEN

■ „Parabeton“, Premiere im Kino International, 3. Juni, 12 Uhr, 10. und 17. Juni, 12 Uhr