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Kunstvoll gegen Unterdrücker

Afrofuturisten zerstören den Cyberspace, Fabelwesen demonstrieren gegen den belarussischen Diktator Alexander Lukaschenko: Im Osnabrücker Friedensfilm-Wettbewerb sind viele Mittel recht

Von Wilfried Hippen

Ein Film aus der Ukraine, in dem vorwiegend russisch gesprochen wird: „107 Mothers“ von Peter Kerekes ist schon deshalb prädestiniert für den Wettbewerb um den Friedensfilmpreis, der seit 2002 in der „Friedensstadt“ Osnabrück verliehen wird. Und so ist dieses Sozialdrama denn auch einer von neun Filmen, unter denen eine dreiköpfige Jury den mit 15.000 Euro dotierten Preis vergibt.

Diese Ausrichtung führt dazu, dass Werke in den Blick kommen, die an den Rändern der globalen Filmproduktion entstehen, in Ruanda, in Belarus oder eben der Ukraine: Die „107 Mütter“ im Titel von Kerekes Film sind Frauen, die in einem Gefängnis in Odessa während ihrer Haftzeit Kinder geboren haben. Eine davon ist Leysa. Sie hat ihren Ehemann getötet und muss dafür neun Jahre absitzen. Die ersten drei Lebensjahre leben diese Kinder in einem Hort im Gefängnis, wo ihre Mütter sie säugen und später mit ihnen spielen dürfen, immer nur für wenige Stunden und unter strenger Bewachung. Wenn Leysa in diesen drei Jahren keine Verwandten oder eine Pflegefamilie für ihr Kind findet, wird es zur Adoption freigeben.

„107 Mothers“ wirkt auch deshalb so authentisch, weil die einzige professionelle Darstellerin im Film Maryna Klimova in der Rolle der Protagonistin Leysa ist. Alle anderen Frauen werden von realen Inhaftierten und Wärterinnen gespielt. Auch sonst inszeniert Peter Kerekes hier souverän an der Grenze zwischen Fiktion und Dokumentation. Er verzichtet auf Zuspitzungen und zeigt statt dessen die trostlose Monotonie der Tage im Gefängnis.

Zwischen Inszenierung und Realität bewegt sich auch die Filmemacherin Sasha Kulak mit „Mara“, der im Belarus des Jahres 2020 spielt. Mara ist in der slawischen Folklore ein Wesen, das, ähnlich dem Sandmann, den Menschen Träume und Alpträume bringt. Diese Sagenfigur lässt Kulak nun auf den realen Demonstrationen auftauchen, bei denen Frauen gegen die gefälschten Präsidentschaftswahlen protestierten.

Dabei gab es brutale Übergriffe der Schutztruppen von Alexander Lukaschenko, die Frauen auf der Straße angriffen und sie in ihre Einsatzfahrzeuge zerrten. Im Film gibt es einige Handyaufnahmen davon, in denen deutlich wird, wie gefährlich es war, an diesen Demonstrationen teilzunehmen. Die Darstellerin der Mara läuft selber am Rande einer dieser Protestaktionen mit. In einer Einstellung sieht man sie alleine vor einem Bollwerk aus gepanzerten Räumfahrzeugen und uniformierten Soldaten mit Gummiknüppeln und Schutzschilden. Die mythische Figur agiert in einem realen Akt des politischen Widerstands – an diesem Verfremdungseffekt hätte Bertolt Brecht sicher seine Freude gehabt.

Etwas später schildert eine der Frauen, wie sie verhaftet, beleidigt und geschlagen wurde. Aber sie tut dies auf einer Theaterbühne und sie trägt dabei eine der Masken und ein Kostüm aus der Performance. Sasha Kulak zeigt mit spürbarer Wut die brutale Unterdrückung der Demokratiebestrebungen. Sie wehrt sich mit ihrer Kunst, mit rätselhaft schönen Bildern wie dem von einer maskierten Frau, die mit einem endlos lang wirkenden roten Schleier eine Treppe hinaufsteigt.

Die mythische Figur Mara agiert in einem realen Akt des politischen Widerstands

Ähnlich merkwürdig im guten Sinne des Wortes ist auch der Film „Neptune Frost“, den die afrikanische Schauspielerin und Drehbuchautorin Anisia Uzeyman zusammen mit dem US-amerikanischen Rapper und Musiker Saul Williams in Ruanda inszeniert hat. Auch hier wird viel mit Masken und Kostümen gearbeitet. Vor allem ist „Neptune Frost“ aber ein Musical, in dem mehr gesungen als gesprochen wird. Auch hier wehren sich die Menschen gegen die inhumanen Machtverhältnisse, etwa in den Minen, in denen das Coltan abgebaut wird, das für die Produktion von Smartphones und Laptops benötigt wird.

Der junge Mathusa flieht vor dieser Fronarbeit, nachdem ein Vorarbeiter seinen Bruder erschlagen hat, weil dieser nicht schnell genug gearbeitet hätte. Im Busch findet Mathusa eine Siedlung, die aus recyclten Computerteilen besteht. Zusammen mit der Ha­cke­r*in Neptune, die abwechselnd als Mann und als Frau erscheint, entwickelt er eine neue Technologie, um das gesamte globale digitale Netz zu hacken.

Mit dieser wilden Science-Fiction-Geschichte stellen sich Uzeyman und Williams in die Tradition des Afrofuturismus, die der Jazzmusiker Sun Ra begründet hatte, indem er in den 1950ern von sich behauptete, auf dem Saturn geboren zu sein. Williams, der alle Songs geschrieben und komponiert hat, ist eher ein Poet als ein Erzähler. So überzeugen hier die Musik und die schräge Inszenierung mehr als das Drehbuch. In Erinnerung bleibt die Schwarze Ermächtigungs-Fantasie in der eine Handvoll afrikanischer Außenseiter die globalen Machtstrukturen sprengen.

Filmfest Osnabrück, 12. bis 16. 10.

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