: Wikipedianer vor Ort
In der Wikipedia tätig zu sein, ist nicht mehr nur Berufung, sondern auch Beruf. Ab heute arbeitet beim Deutschen Archäologischen Institut in Berlin (DAI) der erste „Wikipedian in Residence“. Marcus Cyron, 36 Jahre alt, wird das 1829 gegründete Institut mit der Enzyklopädie des 21. Jahrhunderts verbinden. In Zeiten, in denen immer mehr Unternehmen eigens Mitarbeiter mit der Präsenz in sozialen Medien wie Facebook, Twitter und Co. beauftragen, ist die Wikipedia für Firmen und andere Organisationen immer noch ein Minenfeld.
In den Richtlinien werden die Wikipedianer deutlich. Zum Thema „Eigendarstellung“ schreiben sie: „Unser Ratschlag: Tun Sie es nicht.“ Kommt heraus, dass ein Mitarbeiter etwa Kritik an einem Unternehmen aus der Wikipedia entfernt hat, ist die Empörung groß.
Marcus Cyron legt Wert darauf, dass er kein bezahltes U-Boot im Sinne des Instituts ist. „Das Schreiben von Artikeln gehört ausdrücklich nicht zu meinem Aufgabengebiet.“ Zwar will er im kommenden halben Jahr weiterhin Wikipedia-Artikel schreiben, aber das nur in seiner Freizeit. Seine Aufgabe beim DAI beschreibt Cyron als Verbindungsstück zwischen den beiden Institutionen. In der Wikipedia wird er Mängel identifizieren und den Dialog mit der Community in Gang bringen. Auf der anderen Seite soll er die Mitarbeiter des Instituts lehren, wie man zur Online-Enzyklopädie richtig beiträgt, ohne gegen Neutralitätsregeln oder andere Formalia zu verstoßen.
„Gewisse Dinge sind für Wissenschaftler gewöhnungsbedürftig“, sagt Cyron im Gespräch mit der taz. Dass Laien komplexe Sachverhalte einfach umschreiben, ist für Akademiker oft schwer verdaulich. Bei Wikipedia gehört diese Offenheit aber zu den Grundprinzipien. International haben schon mehrere Institutionen Wikipedianer eingestellt, um die Zusammenarbeit mit der Wikipedia zu fördern: Den Beginn machte im Sommer 2010 das British Museum in London, gefolgt vom Château de Versailles und dem New Yorker Museum Of Modern Arts.
Es ist eine PR-Aktion: Indem das eigene Gebiet und die eigenen Exponate in der Wikipedia auftauchen, versichern die Institutionen der Welt ihre eigene Relevanz im 21. Jahrhundert. Mögen Wikipedia-Artikel in wissenschaftlichen Kreisen als Referenz verpönt sein, die dortigen Links verschaffen ihnen mehr Besucher als die meisten Fachaufsätze. TORSTEN KLEINZ