: Soldaten zum Fragen erziehen
Nachdenken ist in Deutschland Soldatenpflicht. Das Bundesverwaltungsgericht hat dieses System gestärkt
BERLIN taz ■ Bundeswehr-Soldaten sind in erster Linie denkende Bürger und erst in zweiter Linie Landesverteidiger. Diese im Wehrdienstgesetz verankerte Idee des Staatsbürgers in Uniform ist am Dienstag vom Bundesverwaltungsgericht gestärkt worden. Das zumindest glaubt Ottfried Nassauer, Direktor des Berliner Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit. Auch Helmuth Prieß sieht das so. Er ist Oberstleutnant a.D. und Sprecher des Darmstädter Signals, eines Kreises kritischer Soldaten.
Beide halten den Freispruch des Bundeswehr-Majors für einen großen Schritt in die richtige Richtung. Dem Soldaten werde damit mehr Eigenverantwortung zugestanden, glaubt Nassauer. „Eine größere Verantwortung für den Einzelnen ist eine der ganz wenigen Rückversicherungen, die wir in der Bundeswehr theoretisch haben, um so etwas wie Abu Ghraib zu verhindern“, sagte Nassauer.
Die klassische Struktur von Befehl und Gehorsam gibt es in der Bundeswehr nicht. Als Konsequenz aus den Taten der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg wurde bei der Gründung der Bundeswehr ein Element installiert, das Taten gegen den Menschenwürde und Menschlichkeit verhindern soll: Bundeswehrsoldaten haben nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht, Befehle zu hinterfragen und zu beurteilen, ob sie völkerrechtswidrig sind oder nicht.
Das Urteil der Verwaltungsrichter ziehe diese Grenze noch etwas weiter, glaubt Nassauer, erkenne es doch an, dass der Soldat seine Gewissensentscheidung über den Befehl stellen dürfe. Damit bekomme der Staatsbürger in Uniform Vorrang vor dem militärischem Befehlssystem. Für Nassauer eine Abkehr von der bisherigen Urteilstradition.
Prieß sagte, Soldaten dürften nicht blindäugig Befehlen folgen. „Nur weil ein Befehl auf eine demokratisch gewählte Regierung zurückgeht, heißt es nicht zwingend, dass er auch rechtmäßig ist.“ Das Urteil solle Soldaten ermutigen, sich bei ihren Vorgesetzten zu melden, wenn sie Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Einsatzes oder eines Befehls hätten. Schließlich schreibe das Gesetz „nicht den bedingungslosen, sondern den gewissenhaften Gehorsam vor“. K. BIERMANN CH. RATH