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Bis die Fische im Wohnzimmer schwimmen

In der Taipeh-Vertretung in Berlin sprach Wu Ming-Yi über sein neues Buch und das Verhältnis zu China

Es sind noch Plätze frei, tönt es von der Bühne den nahe der Tür stehenden Be­su­che­r:in­nen entgegen. „Hier vorne neben dem Botschafter“, ruft jemand, auf Jhy-Wey Shieh deutend, der offiziell genauso wenig Botschafter wie die Taipeh-Vertretung in Berlin Botschaft von Taiwan ist, das aus Rücksicht auf China kaum ein Staat anerkennt. Die Be­su­che­r:in­nen sind zahlreich, gekommen wegen des Schriftstellers Wu Ming-Yi, der an diesem Mittwochabend seinen 2011 veröffentlichten und nun auf Deutsch erschienenen Roman „Der Mann mit den Facettenaugen“ vorstellt. Darin werden Einblicke in ein wenig bekanntes Taiwan, abseits der Hauptstadt, gewährt: Die Professorin Alice lebt in einem kleinen Haus an der Küste, das vom steigenden Meeresspiegel eingeholt wird. Der Klimawandel ist explizit Thema im Roman, lässt die Geschichte durch einen Brückenschlag zum Magischen Realismus jedoch ins Zeitlose gleiten. Wenn Alice, stark suizidgefährdet, sich weigert, ihr Haus zu verlassen, obwohl dessen untere Etage bereits einem Aquarium gleicht, wirkt das durch die ungewöhnliche Verflechtung von Umweltverbundenheit und -zerstörung nicht weniger nachvollziehbar als die Mythenhörigkeit eines indigenen Inselvolks, das die Verwandlung in Seeigel fürchtet.

In Alice seien eigene Erfahrungen verarbeitet, bekennt Wu, der an diesem Abend einige Male von Erschöpfung spricht. Auch sei es mehrfach vorgekommen, dass Studierende seiner Kurse Suizid begangen hätten, sagt der an der Dong Hwa-Universität lehrende Literaturprofessor, der in Begleitung seines Übersetzers Johannes Fiederling auf der Bühne sitzt. Auch sonst hat „Der Mann mit den Facettenaugen“ einiges mit Wus Leben zu tun. Sein klimaaktivistisches Erweckungserlebnis beschreibt er als den geplanten Bau eines Petrochemiewerks, den umfassende Proteste im Jahr 2011 tatsächlich verhindern konnten. Doch auch in seinem sprichwörtlichen „backyard“ kommt die Umweltverschmutzung an, macht Wu deutlich, als er von der in Taiwan gängigen illegalen Praxis erzählt, Müll auf Grundstücken zu vergraben, um diese an Hauptstädter zu verkaufen, die von einem Fleck Land träumten, das freilich landwirtschaftlich kaum genutzt werden kann.

Wu gehört zu den bekanntesten Au­to­r:in­nen Taiwans, seine Bücher sind auch in China verlegt worden – zumindest einige, zeitweise. Von 2000 bis etwa 2010, erinnert sich der 52-Jährige, gab es eine Hoch-Zeit an Kommunikation zwischen China und Taiwan. Stipendien und Austauschprogramme seien regelmäßig vergeben worden, auch hätten viele Chi­ne­s:in­nen durchblicken lassen, dass sie der offiziellen Unabhängigkeit Taiwans nicht ablehnend gegenüberstünden. Vor allem in den letzten fünf Jahren hätte sich der Diskurs jedoch massiv verschoben, kritische Stimmen innerhalb Chinas wären praktisch alle verstummt.

Dass Wus Bücher schon seit einigen Jahren nicht mehr in China veröffentlicht werden, liegt weniger an deren Inhalten als am Eklat rund um den Man Booker Prize 2018. Als erster taiwanischer Autor überhaupt war Wu für den renommierten Literaturpreis nominiert worden, auf Drängen Pekings wurde sein Herkunftsort jedoch zu „Taiwan, China“ geändert. Wu protestierte, bekam recht, spürte die Auswirkungen allerdings sofort. Seine damals schon vertraglich vereinbarte Gastprofessur in Hongkong nahm Wu ohne Antrittsvorlesung auf. Ziemlich isoliert habe er das halbe Jahr in der Stadt verbracht, die 2019 wegen des geplanten Erlasses chinafreundlicher Gesetze Zeuge monatelanger Massenproteste wurde. Eine offizielle Verabschiedung habe es auch nicht gegeben, erinnert sich Wu. Als er zurück nach Taiwan ging, ließ er die Schlüssel einfach im Büro liegen. Julia Hubernagel

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