: Schweini & Poldi forever
Woher kommt die kollektive Begeisterung für die Jungnationalspieler Bastian Schweinsteiger und Lukas Podolski?
VON MARKUS VÖLKER
Die frohe Kunde ist bis nach China gedrungen. „Früher konnten wir den deutschen Fußball gar nicht genießen“, sagt ein Berichterstatter der Agentur Xinhua, der nach Herzogenaurach ins Hotel „Herzogspark“ gekommen ist, um über den Confederations Cup zu berichten. „Aber heute ist das Spiel viel offensiver.“ Der Kollege aus China konfrontiert Lukas Podolski mit dieser These. Er nennt seinen Interviewpartner der Einfachheit halber „Poldi“. Poldi hat Einwände gegen das Urteil den Mannes aus Fernost. „Ach was“, erwidert er, „2002 sind wir doch Vize-Dings, äh, Weltmeister geworden, da können wir doch nich sooo schlecht gewesen sein.“ Der Reporter nickt und will wissen, wie seine Beziehung zu „Schweini“ sei. „Schweini“ klingt aus dem Mund des Chinesen noch lustiger als „Poldi“.
Die Fußballprofis und Jungnationalspieler Lukas Podolski (20, 1. FC Köln) und Bastian Schweinsteiger (20, FC Bayern München) – kurz: Poldi & Schweini – sind das jüngste Duo infernale des deutschen Fußballs und haben es in kürzester Zeit einmal um den Globus geschafft. Exportweltmeister Deutschland verschickt 349 Tage vor der Fußball-Weltmeisterschaft im eigenen Land nicht nur Güter, er exportiert auch ideelle Werte, die nicht zu verachten sind, wenn es um die Imagebildung geht. Die Bundesregierung, die sich der WM im eigenen Land aufgepfropft hat und das Championat aufgrund aktueller Ereignisse nun doch der Opposition überlassen muss, formuliert die höchsten Ansprüche für das Ansehen Deutschlands im Ausland.
Auf der Internetseite der Regierung heißt es: Man müsse alles dafür tun, „dass unser Land sich nicht allein während des Turniers, sondern bereits im Vorfeld von seiner besten Seite zeigt: fußballbegeistert, vor allem aber gastfreundlich, weltoffen, tolerant, modern, innovativ“. Podolski kann mit dem Knigge für gutdeutsches Verhalten im Großereignisfall nicht viel anfangen. Er sieht sich nur für das Sportliche zuständig. „Ich bin Fußballer, nix weiter, und nicht Popstar oder so, ich will nicht so einer werden wie David Beckham.“
Schade, wird sich Bundestrainer Jürgen Klinsmann denken, einen Beckham hätte ich in meiner gut geölten Vermarktungsmaschinerie gut gebrauchen können. Einstweilen muss Klinsmann auf die bauen, die er hat. Er weiß selbstverständlich, dass der Versuch, aus Poldi und Schweini, dem vierbeinigen Diminutiv, Medienstars zu machen, nichts anderes hieße, als einen Steilpass in die Tiefe des Wunschtraumes zu spielen. Zu schnell stoßen sie an ihre Grenzen, eher rhetorisch als fußballerisch. Das ist nicht weiter schlimm, denn als Sympathieträger funktionieren sie in Klinsmanns am Reißbrett entworfenem WM-Planspiel fabelhaft. Poldischweini wirken mit Aussagen wie „Wenn man Erfolg hat, ist immer schön“ possierlich, ’n bisschen doof, aber tierisch nett. Der Intellektuelle ist amüsiert. Der gemeine Fußballkonsument freut sich, dass er selbst wahrscheinlich viel eloquenter vor der Kamera wirken würde, und verbucht einen Distinktionsgewinn.
„Erfrischend“, „belebend“ und „unverbraucht“ findet die Presse die Kicker aus Köln und München. Je länger der Confed Cup dauert, je erfolgreicher und besser das deutsche Team spielt, desto mehr steigert sich die Begeisterung für die beiden 20-Jährigen. Schon lange hat man in Deutschland nicht mehr so fröhlich und so gespannt und – obwohl es de facto um nichts geht – so zahlreich (zuletzt sahen 13,5 Millionen am Fernseher das 2:2 gegen Argentinien) einem Spiel der DFB-Fußballer entgegengeblickt wie nun dem samstäglichen Confed-Halbfinale gegen Weltmeister Brasilien.
Auch Michael Ballack, der Kapitän des Nationalteams, schätzt das erfrischende Moment. Er steht in der Hierarchie der Mannschaft am höchsten, in einer Hackordnung, die als Drei-Kasten-System verstanden werden kann. Hinter Ballack stehen die Mitglieder des Bayern-Blocks mit dem Altvorderen Oliver Kahn, der die Klinsmann’sche Sektiererei durchaus kritisch betrachtet. Dann kommt der große Rest. Was alle Auswahlspieler eint, ist ihre Systemtauglichkeit.
Klinsmann strahlt – und die Kicker strahlen mit. Das ergibt eine Dosis, die für viele zu hoch ist. Hier orten Kritiker den Schwachpunkt im System. „Klinsmanns verbale Narkosestrategie“, so nennt Die Zeit seinen Hang zur Schönfärberei und mahnt: „Jetzt muss die Strategie aufgehen. Jetzt geht es nicht länger um den weichen Faktor Stimmung, sondern um die harte Währung Leistung. Und viel Zeit ist nicht mehr, um aus hoffnungsfrohen Ansätzen eine WM-Titel-fähige Mannschaft zu machen.“
Der Trainer, der Deutschland den vierten WM-Titel nach 1954, 1974 und 1990 bescheren will, hat lauter brave Jungs um sich geschart. Die Generation Playstation hat ihre postpubertären Allüren abgelegt. Schweinsteiger wird man so schnell nicht mehr nachts im Entspannungsbecken des FC Bayern erwischen. Podolski wird Kölner Journalisten nicht mehr mit der Bitte überraschen, sie mögen zurückrufen, weil ihn das billiger käme. Keine Quertreiber weit und breit. Und die Fraktion der Technokraten, allen voran Arne Friedrich von Hertha BSC Berlin, ist stumm. An ihnen reibt sich derzeit keiner mehr.
Selbst Torwart Kahn ordnet sich brav dem neu verordneten Leistungsprinzip im Nationalteam unter und lobpreist Klinsmanns Arbeit. So viel Eintracht, so viel Gleichschaltung war selten. Verwunderlich ist nur, dass dieses Team, das sich Klinsmann aus seiner Rippe geschnitzt hat, im Lande ankommt, und nicht nur da. Offenbar hat sich Deutschland entschieden, Klinsis Poldischweinis zu mögen, wie sonst ist zu erklären, dass La-Ola-Wellen die Stadien des Confederation Cups überfluten, sobald sich das DFB-Team nähert.
Das „Land der Ideen“ will an Klinsmann glauben, weil er einen Zeitenwandel verspricht. Der kalifornische Schwabe verspricht nichts anderes, als dass er aus dem drögen deutschen Fußball ein offensives, kreatives Spiel machen wird. Und wollen wir nicht alle ein bisschen brasilianisch sein? Wollen wir, wenn wir schon verlieren, nicht wenigstens ästhetisch ansprechend scheitern?
Sich mit dem Klinsi-Projekt zu identifizieren, verheißt einen therapeutischen Effekt. Der Klient ist bereit zu warten, denn die Zeit bis zum Championat dient Klinsmann der Metamorphose. Sagt er. Alles ist im Prozess, alles im Fluss, alles wandelt sich, das Spiel und, wer weiß, vielleicht auch die Mentalität. In dieses Vorhaben hat Klinsmann sich verbissen. Mögen hinter verschlossenen Türen die Zähne knirschen, vor laufenden Kameras lächelt Klinsmann schöner und vor allem ausdauernder als die Figuren in der Zahnpasta-Werbung.
Er weiß seine Botschaft zu verkaufen. Eine PR-Agentur aus dem süddeutschen Raum, dem Vernehmen nach aus München, die auch ein tägliches, überregional erscheinendes Blatt herausgeben soll, verkündet des Trainers Wort. Der Boulevard wird die Kränkung auch alsbald verwunden haben, die sich ergab, als der heiße Draht zur Nationalelf durch Weltmännles Inthronisierung verloren ging.
Nur einer will noch nicht wahrhaben, dass der deutsche Fußball dank Klinsmann aus dem Kokon schlüpft. Es ist ein Schweizer, Urs Siegenthaler, der Chefspäher des DFB-Teams. In einem Interview erklärte er kürzlich: „Jürgen ist manchmal enttäuscht, weil es so langsam vorangeht. Da sage ich: Jürgen, die Franzosen haben sich 1966 nicht für die WM qualifiziert. Danach entschieden sie sich, was zu ändern. 1984 gewannen sie den ersten Titel. Es dauerte 18 Jahre.“ Diese Zeit hat Jürgen Klinsmann nicht. Er muss es in einem Jahr schaffen.