: Demonstration mit Nachspiel
FEHLZEIT Weil ihre Tochter für eine Demo-Teilnahme während der Schulzeit „Unentschuldigt“-Zeiten ins Zeugnis bekam, ging eine Mutter vor Gericht
Als vor zwei Jahren die Hamburger Schülerkammer und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) zu einer Demonstration für die Schulreform während der Unterrichtszeit aufrufen, nimmt Leandra Schwartau zusammen mit mehreren tausend anderen Schülern teil. Die heute 15-Jährigen Leandra besucht die Max-Brauer-Schule in Altona und hat für ihre Demoteilnahme im Zeugnis bei den Fehlzeiten ein „unentschuldigt“ eingetragen bekommen.
Ihre Mutter, Beate Schwartau legt Widerspruch ein und erhebt Klage vor dem Verwaltungsgericht – dort verlieren Mutter und Tochter (AZ 2 K 3422/10) in der ersten Instanz. Die Kernaussagen des Urteils, das der taz vorliegt: Zwar sei die Klage der Mutter durchaus zulässig gewesen, die Teilnahme der Schülerin an der Demo während der Unterrichtszeit jedoch nicht. Möglich, so das Gericht, sei eine Spontandemonstration oder die Beteiligung an einer entsprechenden Willensbekundung außerhalb der Unterrichtszeit.
Beate Schwartau – ihre Tochter möchte sich selbst nicht äußern – lässt das nicht gelten. „Persönlichkeitsrechte“, findet sie, „müssen geschützt werden“. Auch ihre Tochter habe ein Recht, zu demonstrieren und zu sagen, was sie denke. Es könne nicht sein, dass Rentner über das Bürgerbegehren zur Schulreform abstimmten, den Schülern selbst aber eine aktive Meinungsäußerung verwehrt werde.
Dass das Verwaltungsgericht die gesetzliche Schulpflicht höher als alles andere gewertet habe, empört sie. Und nebenbei wird deutlich, dass schon der förmliche Widerspruch gegen das Zeugnis mit 100 Euro, die Klage vor dem Verwaltungsgericht mit 336 Euro zu Buch geschlagen hat – ohne Begleichung dieser Kosten wäre weder das eine noch das andere angenommen worden, sagt Schwartau.
Dass die eigene Mutter viel Geld in den Streit investieren musste, habe Leandra schockiert, auch an der Schule sei eine merkwürdige Stimmung entstanden, weil Lehrern untersagt worden sei, sich zu der Auseinandersetzung zu äußern, sagt Beate Schwartau.
Nun sucht sie bei Parteien und Gewerkschaften nach Unterstützern, um möglicherweise in die nächste Instanz zu gehen – das könne sie allein nicht mehr stemmen, sagt die selbstständige Unternehmensberaterin. Aus den Akten geht außerdem hervor, dass eine weitere Schülerin derselben Klasse, die ebenfalls demonstrierte, keinen Unentschuldigt-Vermerk ins Zeugnis erhalten hat.
Die Schulleiterin der Max-Brauer-Schule, Barbara Riekmann, verweist an die Schulbehörde. Deren Sprecher Peter Albrecht macht deutlich, dass die zweite Schülerin nach der Demo sofort in die Schule zurückgekehrt sei und deshalb nicht bestraft wurde. Beate Schwartau hält dagegen, sie habe ihr Kind aus Sicherheitsgründen angewiesen, erst heimzukehren, wenn die Mehrzahl der Demoteilnehmer den Jungfernstieg verlassen hätten.
Albrecht sagt: „Sie ist die einzige, die das geltend macht“. Wenn ein Kind ohne wichtigen Grund der Schule fernbleibe, müsse seine Behörde dem auch heute nachgehen. Weitere Widerspruchsverfahren habe es nicht gegeben, wie viele Schulen unentschuldigtes Fehlen in Zusammenhang mit der Pro-Schulreform-Demo registriert hätten, sei „nicht statistisch erfasst“. Eine Sicherheitslage, die als „wichtiger Grund“ für das Fernbleiben anerkannt werde, müsse schon sehr extrem sein, sagt Albrecht.
Susanne Walter, Sprecherin der Hamburger Verwaltungsgerichte erklärt, dass das Gericht es als nicht zwingend angesehen habe, zu der fraglichen Zeit zu demonstrieren. Dass Beate Schwartau die anders ausfallende Entscheidung eines anderen Verwaltungsgerichts angeführt habe, sei für das Gericht nicht überzeugend gewesen. Rechtskräftig, so Walter, sei die Entscheidung bislang nicht, dass es ein weiteres, vergleichbares Verfahren in Hamburg geben könnte, ist ihr nicht bekannt. FRANK BERNO TIMM