: Ein Mythos entsteht
Der Bildband „True Stories“ erzählt von den Anfängen des ClubsTresor
Von Andreas Hartmann
Die wegen Corona um ein Jahr nach hinten verschobenen großen Jubiläumsfeierlichkeiten zum dreißigsten Geburtstag des Clubs Tresor sind eben zu Ende gegangen, jetzt wird in Buchform nachgelegt. „Tresor: True Stories – The Early Years“ nennt sich der 350 Seite dicke Coffeetable-Wälzer, der einmal mehr die Geschichte des einst bekanntesten Berliner Technoclubs erzählt. Der Untertitel des Buches ist dabei wörtlich zu nehmen. Es geht so gut wie ausschließlich um den Tresor, der von 1991 bis 2005 in der Leipziger Straße beheimatet war, also um den Mythos, und nicht um den heutigen Club in der Köpenicker Straße.
„True Stories“ ist hauptsächlich ein Bildband. Alles, was man aus den Archiven zur Geschichte des Clubs zusammentragen konnte, wird collagenhaft in Szene gesetzt. Porträts von Ravern und DJs, Plattencover und Flyer. Und dazwischen auch echte Obskuritäten für Liebhaber, wie etwa die Anzeige für ein sogenanntes Space Beer, einem, wie es hieß, „extraterrischen Gebräu“, mit dem Tresor-Betreiber Dimitri Hegemann einst seine eigene Biermarke für Technofans etablieren wollte.
Viele der wenigen Texte in dem Buch sind so historisch wie die gezeigten Abbildungen. Die meisten sind zusammengetragene Presseartikel aus aller Welt, Reportagen und Erlebnisberichte über die frühen Jahre des Tresors, die allesamt von diesem irren Partyladen in Berlin berichten, der sich in den alten Tresorräumen eines ehemaligen Kaufhauses befindet und in dem der Schweiß von den Decken tropft. Egal, woher der Autor oder die Autorin dieser Reißer über das Berliner Nachtleben auch kommt: die Begeisterung, in der eben erst wiedervereinigten Stadt auf derartige Partyexzesse, unendliche Freiheit und verdrogte Kids aus Ost und West zu stoßen, ist jedes Mal gewaltig. Und um die Geschichten von einem Berlin, in dem der Kalte Krieg eben begraben wurde und nun eine Mischung aus Anarchie und Euphorie herrscht, noch anschaulicher zu machen, wurde auch schon mal zur Steigerung des Lesevergnügens ordentlich dazugedichtet. Der Autor des leider verblichenen britischen Zeitgeistmagazins The Face etwa wollte nicht verschweigen, dass es auch Probleme mit Neonazis gab im neuen Berlin. Weiß aber von Türkengangs, die diese ordentlich aufmischen würden. Mit Schusswaffen, die sie von der eben abgezogenen Sowjetarmee bekommen hätten. Davon jedenfalls will er gehört haben, der The Face-Autor.
Auch in den extra für das Buch verfassten Texten tauchen Anekdoten auf, die für jeden Techno-in-Berlin-Historiker von Interesse sein könnten. So soll sich damals, noch bevor es den Tresor überhaupt gab, die Kunde, dass bald ein Technoclub in einer höchst ungewöhnlichen Location eröffnet werde, via einer „Rave-Hotline“ verbreitet worden sein, die man anrufen konnte, um sich über bevorstehende illegale Partys zu informieren. Wer brauchte bei einem solchen Service schon so etwas wie das Internet!
Den Dokumentarfilm zum Tresor, die große Ausstellung und nun das Buch: Was kann da jetzt noch kommen zum Thema? Das große Musical? Ein Theaterstück?
„Tresor: True Stories – The Early Years“. Tresor, Berlin 2022, 351 Seiten, 49 Euro
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