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Steiler Aufstieg von Platz 1.749

Yibing Wu ist der erste chinesische Tennisprofi bei den US Open. Mit seinem Zweitrundensieg macht er einen Satz in der Weltrangliste und trifft nun auf die Nr.1

Aus New York Jörg Allmeroth

Als Yibing Wu im April zu seinem Erstrundenmatch beim Challenger-Turnier in Orange Park (Florida) auf den Platz schritt, hatte er einen einzigen Weltranglistenpunkt auf dem Konto. Er spielte als Nummer 1.749 der ATP-Hitparade gegen den Amerikaner Nico Mostardi, die Nummer 1.611. Niemand im Tourbetrieb interessierte sich seinerzeit für den siegreichen 22-jährigen Chinesen, auch nicht, als er den Wettbewerb im Sonnenstaat ein paar Tage später gewann.

Welch ein Unterschied einige Monate machen können: Spätestens seit seinem Zweitrundensieg bei den US Open ist Wu so etwas wie der Mann der Stunde beim Grand-Slam-Spektakel im Big Apple – ein Phänomen des letzten Major-Wettbewerbs der Saison 2022. Denn Wu scheint bei diesem Turnier ein Versprechen mit Verspätung einzulösen, das er selbst vor fünf Jahren gegeben hatte – als Juniorensieger von New York, später in der Spielzeit 2017 auch noch als Nummer 1 der Welt beim männlichen Nachwuchs.

Und Wu ist natürlich vor allem ein Grenzdurchbrecher, ein Pionier: Er ist der erste chinesische Spieler, der sich in der professionellen Tennisära für das Hauptfeld eines der Major-Turniere qualifizierte. Er ist der erste, der ein Hauptfeldmatch gewann, immerhin gegen den an Nummer 31 gesetzten Georgier Basilaschwili. Und nun, nach dem hart erkämpften Fünf-Satz-Triumph gegen den Portugiesen Nino Borges, ist er natürlich auch der erste Chinese unter den letzten 32 auf Grand-Slam-Niveau.

Daheim ist die Aufregung groß, nicht nur wegen seines sportlichen Aufstiegs, wie Wu glaubt. „Ich bin halt auch ein gutaussehender Bursche“, sagte er am Mittwoch, als er sich der US Open-Reportertruppe stellte, „ich bin froh, dass ich Tennis jetzt wieder genießen kann.“ Wu rückte nicht nur als Exot im Männerturnier in den Fokus, sondern auch als nächster Gegner eines gewissen Daniil Medwedew – des Titelverteidigers also, der Nummer eins der Branche. „Angst“ habe er keineswegs vor der kommenden Aufgabe, erklärte Wu, „Respekt aber schon. Ich bin sicher, dass ich auch eine gewisse Chance habe.“

Wu ist noch weit von den Erfolgen chinesischer Frauen entfernt, etwa von den Großtaten Li Nas, die 2011 und 2014 bei den Australian Open und den French Open triumphierte und im Feb­ruar 2014 bis auf Platz 2 der Weltrangliste empor kletterte. Als Ausnahmetalent galt er allerdings schon in seinen Teenagerjahren. Von März 2019 bis in die frühen Monate dieser Saison lag die Karriere Wus aber praktisch auf Eis. Eine schmerzhafte, hartnäckige Ellbogenverletzung setzte ihn ebenso außer Gefecht wie strengste Reisebeschränkungen in Pandemiezeiten. Internationale Turniere konnte der ambitionierte Jungstar nicht spielen, Chinas eigentlicher Vorzeigemann unter den offiziell geschätzten 15 Millionen Tennisspielern im Riesenreich. „Es war eine furchtbar lähmende Zeit“, sagt Wu.

Der steile Aufschwung von Wu kommt in einem Moment, da sich die verhärteten Fronten im aufsehenerregenden Fall von Peng Shuai aufzuweichen beginnen. Weil der Verbleib der früheren Spitzenspielerin nach einem kritischen Internetbeitrag gegen einen hohen Politiker lange Zeit unklar war, strich die WTA alle Frauenturniere in diesem Herbst. WTA-Boss Steve Simon deutete allerdings nach einem Gespräch jüngst mit Peng Shuai an, dass die Tenniskarawane im Jahr 2023 wieder in China Station machen könnte. Es geht schließlich um den größten Zukunftsmarkt des Tennis überhaupt.

Die Männertour wird in den nächsten Monaten allerdings wie üblich die asiatischen Stationen einschließlich China abklappern – Wu, der neue Tennis-Liebling des Landes, dürfte dabei eine Hauptrolle einnehmen. Konsequent hatte sich Wu seine Matchhärte 2022 bei Challenger-Turnieren erarbeitet, vier Wettbewerbe gewann er schon in dieser Saison. Von Platz 1.749 im April stürmte er so bis auf Platz 129 nach der zweiten US Open-Runde empor, 188.000 US Dollar Preisgeld für das Gastspiel in New York hat er auch in der Tasche.

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