piwik no script img

Der Zufall als Material

Die Konzertreihe „Randspiele“ steht zum 30. Jubiläum unter dem Motto „Feuer“, beim Beethovenfest Bonn gibt es „Songs of Wounding“ und die Jazzwerkstatt Peitz setzt ihre Experimente fort

… auf Spuren­suche in eigener Sache: Andrzejewskis Stück bezieht sich auf seine erste eigene Komposition als 7-jähriger Foto: privat

Von Robert Miessner

Um Elemente und Elementares geht es seit den frühen neunziger Jahren bei der Veranstaltungsreihe Randspiele. In seiner dreißigsten Ausgabe steht das Festival für Neue Musik in der St.-Annen-Kirche in Zepernick bei Berlin an diesem Wochenende unter dem Motto „Feuer“. In den drei Jahren zuvor war es „Wasser“, „Erde“ und „Luft“. Bereits eine frühere Ausgabe des Festivals hatte kurz nach der Jahrtausendwende einen Programmpunkt „Magic of Fire“, damals kam Igor Strawinskys Ballettmusik „Der Feuervogel“ zur Aufführung und es gab ein tatsächliches Feuerwerk. Schon 2009 hatten die Randspiele sich künstlerisch mit dem Thema Migration beschäftigt. In der Vergangenheit ist es zu Kooperationen mit Spielstätten wie dem Ackerstadtpalast in Berlin-Mitte und der Paul-Gerhardt-Kirche Schöneberg gekommen.

Kuratiert werden die Randspiele von der Zepernicker Kantorin Karin Zapf und ihrem Ehemann, dem Komponisten und studierten Kirchenmusiker Helmut Zapf. Fester Termin seit jeher ist der Gottesdienst am Abschlusssonntag. Wie andächtig er wird, sei dahingestellt. „In Zeiten der Flammen“ heißt die Klanginstallation des Komponisten Martin Daske, die im Kirchgarten das gesamte Festival rahmt.

Im Gemeindehaus ist eine Ausstellung der ukrainischen Künst­le­r:in­nen Halyna Hamelink-Ihnatenko und Dima Miroschnichenko zu sehen. Mit den Mottos „Feuertanz“, „Pestilenza“ und „Magma“ sind einzelne Aufführungen überschrieben. Das spricht für sich. Die Musik wird von Komponisten und Musikern wie Friedrich Goldmann, Georg Katzer und Matthias Bauer kommen: Das Festival verpflichtet sich keiner festgelegten Ästhetik, heißt es in seinem Wikipedia-Eintrag. Aber eine gewisse Eigenwilligkeit, wenn auch nicht aus Selbstzweck, kann erwartet werden. Am Sonnabend wird ein Werk des in diesem Frühjahr verstorbenen Komponisten Taymur Streng aufgeführt werden: „Hier stehe ich“. Auch das ist ein Titel, der für sich spricht.

„Songs of Wounding“ ist ein Konzertabend überschrieben, der am 9. September im Rahmen des diesjährigen Beethovenfests Bonn stattfindet. Über mehrere Jahre hat die Sängerin und Performerin Mariana Sadovska Feldaufnahmen in Dörfern ihrer ukrainischen Heimat gemacht und dabei alte, verloren gegangene Gesangstechniken studiert. Als die daraus entstandenen „Songs of Wounding“ im Berliner Radialsystem ihre Premiere hatten, fragte die „Tagesschau“ angesichts des russischen Truppenaufmarschs an der ukrainischen Grenze: „Wäre Putin bereit, in die Ukraine einzumarschieren?“ Es war der 2. Dezember vorigen Jahres.

„In Zeiten der Flammen“ heißt die Klanginstallation Martin Daskes

Die Frage ist beantwortet worden. „Songs of Wounding“ hat eine traurige Aktualität bekommen und ist dabei eine Weiterführung älterer Arbeiten Sadovskas. Auf ihrem Album „Just not Forever“ (2011) interpretierte sie traditionelle Lieder und Texte aus der Ukraine, es folgten Programme zur Nachtkultur von Odessa, Berlin und Paris zwischen den Weltkriegen und zur Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. „Songs of ­Wounding“ ist als Abend zwischen experimentellem Pop, Noise, alter und zeitgenössischer Musik angekündigt. Komponist und Perkussionist des Abends ist der improvisierende Schlagzeuger Max Andrzejewski, der zu Sadovskas Fundstücken eine zweite Ebene erarbeitet hat. Die Klangkünstlerin Marta Zapparoli sorgt für den elektronischen Horizont.

Bereits am 2. September wird auf dem Beethovenfest eine kurze Eigenkomposition Andrzejewskis zur Aufführung gelangen: „Das Summen meiner Teile“, ein Auftragswerk für Streichquartett und Schlagzeug, für das Ensemble Resonanz und Andrzejewski selbst. Andrzejewski kommt, wie er selber sagt, aus der experimentellen Jazzszene und begibt sich in die zeitgenössische Klassik. Der Anteil des Ensembles Resonanz, Andrzejewski kennt es bereits länger, ist auskomponiert, sein eigener improvisiert. Mit „Das Summen meiner Teile“ betreibt der Komponist Spurensuche in eigener Sache: Das Stück bezieht sich auf seine erste eigene Komposition, die er, vom Opa ermutigt, zu Papier brachte. Da war Andrzejewski sieben Jahre alt. Eigentlich sind es zufällige Noten, aber jetzt hat er sie noch einmal ernst genommen und als Ausgangsmaterial verwendet.

Ein Festival, dem sich Andrzejewski verbunden fühlt, ist die Jazzwerkstatt Peitz, deren 59. Ausgabe vom 9. bis zum 11. September traditionell am Rand des Spreewalds in der Niederlausitz stattfindet. Dabei ist „traditionell“ nicht unbedingt das passende Adjektiv für die Jazzwerkstatt. Die Veranstaltungsreihe der Jazzenthusiasten Peter „Jimi“ Metag (1950–2013) und Ulli Blobel, die ihr Debüt am 2. Juni 1973 im Filmtheater Peitz hatte, war in der DDR so etwas wie ein „Woodstock am Karpfenteich“, um einen Buchtitel der Jazzwerkstatt zu zitieren.

Komponist Max Andrzejewski begibt sich beim Beethovenfest …   Foto: Dovile Sermokas

Der „Karpfenteich“ – das sind heute insgesamt 33 Teiche rund um die 4.400-Einwohner kleine Stadt, die bis zum faktischen Verbot der Jazzwerkstatt 1982 für Freun­d:in­nen eines experimentellen Jazz, der nicht als lupenrein verstanden werden sollte, ein Mekka war. Seit 2011 wird die Reihe jährlich mit einem Festival fortgesetzt. Kuratiert wird es mittlerweile von Ulli Blobel und seiner Tochter Marie, die auch die Berliner Reihe Jazzexzess veranstaltet.

In diesem Jahr ist in Peitz ein Künstler zu Gast, der das erste Mal in den späten Siebzigern in die Lausitz kam, der britische Improvisationsmusiker Evan Parker, einer der großen Namen des respektlosen Sounds. Parker wird im Trio mit dem Bassisten Barry Guy und dem Drummer Paul Lytton auftreten. Im vorigen Jahr ereignete sich in der Peitzer Stüler-Kirche einen interessantes Psychedelic-Jazz-Konzert der Formation Peter Ehwald & Septuor de Grand Matin mit der Sängerin Almut Kühne. In diesem Jahr ist sie mit dem zwölfköpfigen Stefan Schultze Large Ensemble feat. Colin Stetson zu erleben.

Mit dabei ist die Vibrafonistin Els Vandeweyer. 2021 hat sie am lautstarken Peitzer Projekt DeIndustrial teilgenommen. Mit der Hornistin Elena Kakaliagou schließt sich ein weiterer Kreis: Sie ist schon mehrmals bei den Zepernicker Randspielen dabei gewesen. Auch in Peitz wird es einen Gottesdienst geben. Einen Jazzgottesdienst, wohlgemerkt. Am Vortag sprechen der Schriftsteller und Verleger Uwe Warnke und die Autorin, Regisseurin und Kuratorin Grit Lemke über „Kultur – ein alternatives Transformationsmodell für die Lausitz“. Wem das akademisch tönt: Es ist wie die Musik elementar.

Randspiele Zepernick: noch bis 28. August, Infos & Programm: www.randspiele.de

Beethovenfest Bonn: noch bis 17. September, Infos & Programm: www.beethovenfest.de

Jazzwerkstatt Peitz: 9. bis 11. September 2022, Infos & Programm: www.jazzwerkstatt.eu/peitz

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen