: Die Stimmung steigt
Und noch ein Versuch: Jürgen Klinsmann und die deutsche Nationalmannschaft wollen heute in Nürnberg endlich mal wieder einen Großen schlagen. Dafür ausgewählt haben sie sich Brasilien
VON MARKUS VÖLKER
Viele Jahre sind ins Land gezogen und man fragte sich all die Jahre, wann die deutsche Fußballnationalmannschaft wohl wieder einmal einen Kontrahenten von höchster Reputation schlagen könne. Der letzte Sieg gegen einen so genannten Großen datiert aus dem Jahre 2000. Am 7. Oktober jenes Jahres gewann die seinerzeit von Rudi Völler trainierte DFB-Elf in der WM-Qualifikation 1:0 gegen England, in London. In den darauf folgenden 13 Partien verbuchten die Statistiker 9 Niederlagen und 4 Unentschieden. Torverhältnis: 10:27. Das letzte Remis gab es gegen die Argentinier in der Vorrunde des Konföderationen-Pokals. Das Spiel endete 2:2. Neben den Argentiniern konnten weder die Spanier, Franzosen und Italiener noch die Niederländer und Tschechen in den vergangenen Jahren von einer deutschen Auswahl bezwungen werden, ein Makel, von dem sich die Mannschaft nun befreien will. Ausgerechnet gegen Brasilien soll die Serie enden, Finalgegner der DFB-Elf bei der Weltmeisterschaft in Fernost.
Auch das Endspiel in Yokohama ging bekanntlich verloren. Doch Jürgen Klinsmann, welch Wunder, ist zuversichtlich, dass sein Team diesen Riesen unter den Großen schlagen kann; er glaubt daran, dass die Angst vor den Hegemonialmächten des Fußballs weicht. Zu diesem Zwecke müsse seine Mannschaft an die Leistungsgrenze gehen, Chancen des Gegners minimieren und hellwach sein – was ein Trainer halt von seiner Mannschaft so alles verlangt. „Jetzt kommt ein gigantischer Brocken auf uns zu, aber wir sollten so ein Kaliber auch mal schlagen“, sagt Klinsmann vor dem Spiel am Samstag im Nürnberger Frankenstadion (18 Uhr, ZDF): Die Aussage zeugt von gigantischem Selbstbewusstsein, zumal ein Sieg einer deutschen Auswahl gegen den Rekordweltmeister mehr als elf Jahre her ist. Nicht zuletzt deshalb wurden die Brasilianer vor dem Confed-Cup in einer anderen Kategorie verortet. Das ist Geschichte, vorerst.
Im Turnierverlauf der Kleinst-WM haben sich sachte tektonische Verschiebungen auf dem Fußballkontinent ergeben. Die Selecao hat nur vier Punkte in der Vorrunde geholt, offenbarte Schwächen in der Abwehr und Gerüchte machen die Runde, ein Großteil der Spieler fühle sich müde, überspielt und ausgebrannt. Das Schwanken zwischen Momenten der Inspiration und Nachlässigkeit hat César Luis Menotti in einem Interview bekrittelt: „Sie zeigen hier keine Mannschaft“, sagte der ehemalige Auswahltrainer Argentiniens, „sie verteidigen schlecht, sie glänzen nicht im Angriff, es sei denn, es taucht eine individuelle Genialität auf.“ Kurzum: „Brasilien verspielt seine Autorität.“
Im Lager der Deutschen schließen sich indes die Reihen fester. Die Stimmung steigt. Die Fans feiern die Mannschaft wie sich selbst. Die Kritik an Klinsmann verebbt zusehends. Immer mehr Teilhaber am WM-Projekt zeigen sich. Vorfreude auf die WM breitet sich in alle Richtungen und durch alle Schichten hindurch aus. Teammanager Oliver Bierhoff freut sich über die erstaunliche Konkordanz von öffentlicher, veröffentlichter und gestreuter Meinung. „Wir sind froh, dass so viel Glaube da ist“, sagt er.
Doch Vorsicht, warnt der clevere Schwabe, noch sei dieses Spiel nicht gewonnen. „Die sind nicht müde, die sind gereizt und damit gefährlicher“, mahnt Klinsmann. „Sie haben diese Gabe, einfach einen Gang höher zu schalten oder auch zwei.“ Um die rasante Beschleunigung der Brasilianer auf dem Feld zu stoppen, ist Michael Ballack wieder mit von der Partie. Jens Lehmann steht im Tor, was Oliver Kahn ärgern dürfte, da er mit den Südamerikanern noch eine Rechnung offen hat. Bastian Schweinsteiger wird nicht in der Startelf stehen und auch der Einsatz von Lukas Podolski ist fraglich, jedenfalls ein Einsatz von Beginn an.
Die Selecao, das hat Coach Carlos Alberto Parreira angekündigt, wolle in Bestbesetzung antreten, die Zeit der Experimente sei vorbei. Was er damit meint, ist reichlich unklar, denn sonderlich experimentell hat Parreira sein Team im Turnierverlauf noch nicht zusammengewürfelt. „Wir haben es bis hierher geschafft. Jetzt wollen wir auch den Titel holen“, verkündet er. Derweil geht der Transferpoker um Stürmer Robinho weiter. Real Madrid ist an einer Verpflichtung interessiert. Doch Robinhos Heimatverein, der FC Santos, verlangt 50 Millionen Euro Ablöse. Angeblich hat sich die brasilianische Regierung eingeschaltet, um dem Stürmer das Bleiben zu versüßen. Sie will einen Teil seines Gehalts übernehmen, wenn Robinho sich als Werbefigur zur Verfügung stellt.
Michael Ballack glaubt, der kommende Gegner sei nicht schwach oder müde oder unkonzentriert, sondern er bluffe nur. „Die Brasilianer stapeln ein bisschen tief. Wir trauen uns zu, sie zu schlagen.“ Zeit würde es. Ein Sieg über einen Großen der Zunft würde auch die DFB-Elf ein bisschen größer machen.