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Mini-Wälder fürs Mikro-Klima

Waldspaziergang (IV): Die taz nord beschäftigt sich in dieser Serie mit dem Sehnsuchtsort der Deutschen, dem Wald. Aber wie viele Bäume braucht es überhaupt für einen Wald? Und ist es sinnvoll, selbst Hand anzulegen und stadtnah kleinste Wäldchen zu pflanzen?

Von Esther Geißlinger

Unter dem Dach des Baumes ist es angenehm kühl, in den Ästen tschilpt eine Amsel – und je mehr Bäume, desto mehr Lebensraum für Tiere und mehr Klimaschutz: Aus diesem Grund pflanzen Gruppen wie „Citizens Forests“ auch auf kleinen Flächen in Städten Mini-Wälder. Der Verein aus Bönnigstedt in Schleswig-Holstein hat seit 2019 mehr als 12.000 Bäumchen in den Boden gebracht, eng an eng, nach der Methode des Wald-Ökologen Akira Miyawaki (1928– 2021). Heute strecken auf diesen Flächen Bäume ihre Äste in den Himmel – aber Fachleute sind dennoch skeptisch.

„Ich stehe dem gegenwärtigen Trend, überall Bäume zu pflanzen und sich das als gute Tat zuzurechnen, nicht ganz unkritisch gegenüber“, sagt Helmut Poppendieck, Vorsitzender des Botanischen Vereins in Hamburg und Biologe mit Schwerpunkt auf Biodiversität. „Mein Herz schlägt für spontane Stadtwälder“ – also Ökosysteme, die sich eigenständig entwickeln.

Alexandra Erfmeier, Professorin am Institute for Ecosystem Research der Kieler Universität, sieht es ähnlich: „Wir müssen der Natur nicht nur Raum, sondern auch Zeit geben. Auch ich pflanze gerne Bäume, aber wer das tut, sollte sich vorher fragen, was er eigentlich erreichen will.“ Denn Wald bedeute nicht nur „Dienstleistung für Menschen und Kohlestoff-Reduktion, sondern ist Lebensraum für andere Organismen“.

Laut dem Bundeswaldgesetz ist ein Wald „jede mit Forstpflanzen bestockte Grundfläche“, allerdings „keine kleineren Flächen mit Baumgruppen“. Bei ihrer Waldinventur nimmt die Bundesregierung Flächen über 0,1 Hektar und mit mindestens zehn Meter Breite auf, heißt es auf einer Homepage des Bundeslandwirtschaftsministe­riums. Die Vereinten Nationen nennen eine Mindestgröße von 0,5 Hektar.

Ökologisch definiert sich Wald als System von Pflanzen, die sich gegenseitig beeinflussen und gemeinsam ein „Waldbinnenklima“ erzeugen. Baum­inseln zwischen Äckern oder Straßen haben große Randbereiche, in denen Tiere und Pflanzen gestört werden. Dennoch könne es aus Naturschutzsicht sinnvoll sein, auf viele dieser „Inseln“ zu setzen, sagt Erfmeier: „Kleine Flächen können bei Störungen variabler reagieren.“ Wenn gepflanzt werde, sei wichtig, welche Bäume – die Ökologin plädiert für einheimische Arten und wünscht sich, dass sich Ini­tiativen vor einer Aktion Rat holen: „Viele Bäume zu pflanzen klingt nach einer schnellen Lösung, aber wenn es nicht nur öffentlichkeitswirksam sein soll, braucht es eine fachliche Begleitung.“ Insofern sei es „toll“, dass sich inzwischen so viele Ini­tiativen entwickelt hätten, aber „man könnte mehr rausholen“.

Wäldchen in der Stadt müssten gut erklärt werden, darauf weist Christian Ammer hin, Professor für Forstwirtschaft an der Uni Göttingen: „Wird ein Grundstück sich selbst überlassen, sehen die Menschen in der Nachbarschaft es schnell mal als unordentlich an.“ Dann besteht die Gefahr, dass Müll hingeworfen wird oder jemand zum Laubpuster greift, obwohl es ökologisch wichtig sei, die Blätter liegen zu lassen. Ammer weist auf ein Projekt in Niedersachsen hin, bei dem Kinder im Schulalter mit Wäldern vertraut gemacht werden und selbst Bäume pflanzen, also ökologisch wie pädagogisch sinnvoll.

Wie weit die Mini-Wälder tatsächlich einen Effekt auf das Klima haben, ist bisher noch weitgehend unerforscht. Ammer und Erfmeier gehen beide von einem Effekt im Nahbereich aus – wer unter einem Baum steht, spürt sofort, dass es kühler wird. Genaueres müsste noch untersucht werden, sagt Ammer.

Einig sind sich alle Expert­*innen, dass eine bewachsene Fläche ökologisch sinnvoller ist als eine versiegelte und eine mit Bäumen bestandene besser als gemähter Rasen. Doch „mit einem klassischen Wald ist das nicht vergleichbar“, sagt Ammer. Auch er weist darauf hin, dass ein Mini-Wald Zeit für die natürliche Entwicklung braucht: „Erst Gras, dann Strauch, dann Baum.“

Das sieht auch der Botaniker Poppendieck so: „Mein Plädoyer für die Städte wäre es gerade, die scheinbar nicht genutzte Flächen in Ruhe zu lassen und nicht aufzuforsten.“ Denn was für das menschliche Auge „nicht genutzt aussieht, kann eine reiche Lebewelt beherbergen und eine bedeutende Rolle für die Biodiversität der Pflanzen und Tiere in der Stadt spielen“.

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