: K77 nach 13 Jahren geräumt
Seltsamer Besuch der grünen Ordnungsmacht: Zwei Hundertschaften der Polizei stürmen friedliches Hoffest in der Kastanienallee 77 in Prenzlauer Berg. Das Geburtstagskonzert war zum Zeitpunkt der Räumung längst beendet
13 Jahre nach ihrer Besetzung ist die Kastanienallee 77 in Prenzlauer Berg geräumt worden. In der Nacht zu Sonntag stürmten zwei Hundertschaften der Polizei die drei Höfe der K77. Dort hatten rund 500 Besucher den 13. Jahrestag der Besetzung gefeiert – er ist zugleich der elfte Jahrestag der Legalisierung des Hausprojekts. Bei der rabiaten Räumung des Festes nahm die Polizei zwei Personen wegen angeblichen Widerstands vorübergehend fest und zerstörte eine Tür.
Seit dem Nachmittag hatten Bewohner und Freunde des Hauses friedlich gefeiert. Im Laufe des Abends waren zweimal Streifenbeamte aufgetaucht, weil Nachbarn sich über die Lautstärke der Livemusik beschwert hatten. Ein Beamter habe da noch verständnisvoll erklärt, bei diesen Anwohner handele es sich offenbar um Leute, die erst in die aufregende Großstadt gezogen seien, und sich nun über das lebendige Leben hier beschweren würden, erzählt eine Feiernde. Dennoch wurde die Musiklautstärke auf dem Fest beide Male deutlich reduziert. Ähnliche Feste in den Vorjahren konnten so stets friedlich beendet werden.
Diesmal jedoch stürmten gegen 1:30 Uhr am Sonntagmorgen Beamte in voller Kampfmontur die Bühne im dritten Hof. Das monierte Rockkonzert war zu diesem Zeitpunkt längst beendet. Es lief nur noch deutlich leisere Musik aus der Konserve. Dennoch rissen Polizisten einen Moderator rüde von der Bühne. Anschließend drängte eine Polizeikette ohne weitere Erklärung die Besucher von den Höfen. Die trotz des provokanten Auftretens der Beamten weitgehend friedlich Feiernden wurden immer wieder mit Schlägen und Würgegriffen traktiert.
Angebote an den Einsatzleiter, über deeskalierende Maßnahmen zu reden, wurden rüde zurückgewiesen – teilweise endeten sie im Schwitzkasten der Beamten. Erst als nach fast einer Stunde nur noch der erste Hof bevölkert war, zeigte sich der Einsatzleiter kooperativ. Ein Besucher durfte die anderen bitten, das Gelände zu verlassen, auch um Verletzungen zu vermeiden.
Zwischenzeitlich waren Beamte auch in das Haus eingedrungen. Als der Trupp zurück auf den Hof wollte, zerschlug ein Polizist von innen eine zur Hälfte offen stehenden Glastür. Zwei andere Beamte hatten zuvor die Tür problemlos passiert.
Auf der Kastanienallee meldeten unterdessen die rund 300 dort hingedrängten Festbesucher eine Spontandemonstration an, die aber von der Polizei untersagt wurde. Das Haus blieb bis 3:30 Uhr abgeriegelt. Auch Bewohnern wurde der Zugang verwehrt. Nicht einmal ein behinderter Festbesucher durfte für ihn wichtige Ergängzungsteile für seinen Rollstuhl holen.
Die Bewohner des Hausprojekts zeigten sich entsetzt über den „völlig überzogenen“ Polizeieinsatz. Schließlich habe es sich hier nur um eine friedliche Party in der Großstadt gehandelt und nicht um einen Terroranschlag, meinte eine Bewohnerin.
Zuletzt hatte die K77 vor zwölf Jahren für Schlagzeilen gesorgt. Im Oktober 1993 hatte der damalige Eigentümer einen privaten Räumtrupp engagiert. Rund 40 Männer zerstörten frühmorgens mit Kettensägen und Rammböcken die Türen des Hauses, um die Bewohner zu vertreiben. Die Besetzer riefen den damaligen, für seine Dialogfähigkeit und sein Fingerspitzengefühl bekannten Abschnittsleiter der Polizei. Dessen Beamte stoppten den illegalen Räumtrupp. Der Hauseigentümer erhielt eine Strafanzeige – unter anderem wegen Ruhestörung.
Nicht nur in Prenzlauer Berg, auch in Neukölln bekamen es Partygäste handfest mit Polizisten zu tun. In der Leinestraße stürmte die Polizei eine Studentenfeier und nahm 20 Männer sowie 15 Frauen zur Blutentnahme und erkennungsdienstlichen Behandlung fest. TAZ