ausgehen und rumstehen von Eva-Lena Lörzer
: Abgründe am Bundesplatz

Foto: privat

Bundesplatz? Gibt es da überhaupt irgendwas?“, schreibe ich zurück, als eine Autorenfreundin die Ecke für ein Treffen vorschlägt, und dann: „Wenn nicht, vielleicht auch gerade lustig.“ Als wir uns ein paar Stunden später am Bundesplatz treffen, wundert sie sich, dass die Gegend nicht so belebt ist, wie sie sie in Erinnerung hatte. Ich wiederum fühle mich in meiner Erinnerung bestätigt, dass es hier außer Wohnhäusern und Läden nicht viel gibt. Wir laufen an geschlossenen Geschäften vorbei, an Restaurants, an Baustellen und an einem kleinen Café mit Blick auf eine ausgestorbene Straße, ehe wir endlich die Kneipe finden, die sie von früher im Kopf hatte.

Alle Außenbänke sind besetzt. Als wir gerade in Erwägung ziehen, uns einfach an einen Bartisch zu stellen, bedeutet uns ein Pärchen, dass wir ihren Platz haben können: „Wir wollten eh gerade gehen und haben schon bezahlt.“ Der Kellner, ein älterer Mann in Hawaiihemd, ist anderer Ansicht, als er das nächste Mal rauskommt und an dem Tisch statt dem Paar uns erblickt: „Sind die weg oder was?“ Wir beteuern, dass die beiden überhaupt nicht so wirkten, als würden sie die Zeche prellen. Er schüttelt den Kopf und meint: „Na ja, ich kriege die schon. Ich weiß, wo er arbeitet.“

Wir rätseln, ob das Pärchen tatsächlich einfach abgehauen ist oder ob der Kellner etwas durcheinandergebracht hat, und tippen auf Letzteres. Kurz darauf kommt der Kellner wieder raus, stellt sich zwischen die Tische und ruft: „Boah, bin ich fertig heute!“ Die Freundin guckt mich bedeutungsvoll an: „Da haben wir es. Irgendwas stimmt mit ihm nicht. Überarbeitet oder verwirrt, vielleicht auch Parkinson.“ Wir reden weiter über Schreiben und Leben, bis erst zwei junge Mädchen und kurz darauf ein junger Kerl auf der Bank vor uns Platz nehmen und sich lautstark auf Englisch über ihr Sexleben und alternative Beziehungsmodelle unterhalten, so laut, dass es uns beinahe unmöglich gemacht wird, uns auf unser Gespräch zu konzentrieren. Während wir rätseln, warum die eine der beiden Frauen geht und die andere den Typ immerzu verbal abweist, ihm dabei aber gleichzeitig näher und näher rückt, scheint sich zumindest aufzuklären, was mit dem Kellner los ist. Um ein Uhr nachts verkündet er: „Den ganzen Tag alleine, und jetzt kommt die Kollegin!“ Ein paar Gäste applaudieren. Ich schlussfolgere erleichtert: „Kein Parkinson, Überarbeitung.“

Kurz darauf geht die Autorinnenfreundin auf die Toilette. Das Mädchen erklärt dem Typ gerade, dass er deshalb von allen gehasst werde, weil er mit allen rummache: „You are a fucking fuckboy. Nothing but a fucking fuck boy, you know?“ Er meint grinsend: „Mit dir hatte ich noch nichts.“ Und ich warte darauf, dass sie ihn wieder kontert. Stattdessen beginnt sie wild mit ihm zu knutschen und raunt: „Das kann ja noch werden.“ Als die Autorinnenfreundin und ich um zwei Uhr morgens beschließen, dass es Zeit ist aufzubrechen und die beiden ihrem Softporno zu überlassen, stürzen sie gerade in Richtung Toilette. Der Kellner betrachtet ihre liegen gelassenen Handys auf dem Tisch, kassiert uns ab und meint: „Ein toller Mond heute. Und morgen habe ich auch endlich frei.“ Er zwinkert uns zu. Ich fühle mit ihm.

Als er weg ist, fragt die Autorenfreundin aufgeregt: „Hast du das gesehen? Von wegen Überarbeitung!“ Ich frage irritiert: „Was soll ich gesehen haben?“ Sie erklärt: „Er hat sich auf den Arm gehauen, das Zeichen, das Junkies für einen Schuss verwenden. Ich schüttele den Kopf: „Von wegen langweilige Spießergegend.“ Die Freundin grinst: „Es sind doch oft die heimelig wirkenden Gegenden, in denen sich die größten Abgründe auftun.“