: „Er muss nicht selig werden“
Heute beginnt das Verfahren der Seligsprechung von Papst Johannes Paul II. Kein Grund für Katholiken, sich zu früh zu freuen, meint Theologe Rainer Kampling. Das Verfahren kann bis zu zehn Jahre dauern. Schließlich müssen seine Wunder geprüft werden
INTERVIEW PHILIPP GESSLER
taz: Bei dem Verfahren der Seligsprechung wird auch die Leiche inspiziert – mit welchem Ziel?
Rainer Kampling: Das dient etwa dazu, wie wir es auch eben in Münster bei der Leiche des Bischofs Graf von Galen erlebt haben, einen Splitter eines Knochens zu entnehmen, als eine Reliquie, das heißt: ein Stück des Körpers, das nach einer Heiligsprechung dann in einen Altar eingelassen wird. Für gewöhnlich werden bei dieser Inspektion die Leichen auch umgebettet. Johannes Paul II. etwa liegt heute dort, wo Johannes XXIII. lag. Früher galt es auch als Ausdruck der Seligkeit, wenn die Leiche besonders unversehrt war.
Johannes XXIII. war im Petersdom unter Glas zu bewundern. Es stank in der Nähe seines Glassargs, aber er sah noch ziemlich komplett aus. Die Leiche von Galens, wurde gemeldet, sei auch erstaunlich unversehrt.
Ich frage mich immer, wer so etwas sagt – ein Pathologe oder ein Laie, der für gewöhnlich ja nicht so häufig Leichen inspiziert. Aber wollte Johannes Paul II. das alles überhaupt? Er hat ja bewusst für seine Beerdigung einen schlichten Holzsarg gewünscht. Das ist ein Hinweis darauf, dass er sich den normalen Verfall für seine sterblichen Überreste vorstellen konnte.
Eklig ist das doch schon, ein Stück vom Knochen zu nehmen.
Och, ob das eklig ist, weiß ich nicht. Ich finde Leute, die ein T-Shirt von Michael Jackson aufheben, ekliger.
Aber es ist doch eine fast nekrophile Veranstaltung.
Nein! Es geht ja nicht zuletzt um den Nachweis, dass der mögliche Selige überhaupt noch da ist.
Wie: „noch da“?
Der Leichnam könnte ja beispielsweise gestohlen sein. Der Reliquienglaube hängt mit dem Glauben zusammen, dass es heilige Orte gibt und man Heiligkeit transportieren kann. Heute mag das ja merkwürdig erscheinen, aber es ist schon auffällig, dass die Menschen es immer nur im Zusammenhang mit Religion merkwürdig finden, nicht jedoch in ihrem Alltag. Ich kenne viele, die Kleidungsstücke aufbewahren, die sie trugen, als sie ihre erste große Liebe trafen. Das Moment des Verwahrens ist dem Menschen beigegeben.
Die Seligsprechung ist der erste Schritt zur Heiligsprechung. Ist die angesichts des öffentlichen Drucks – erinnert sei etwa an die Plakate auf dem Petersdom bei der Beerdigung Johannes Pauls II. „Santo subito“ – überhaupt noch aufzuhalten?
Wenn alles regulär läuft, wird der Seligsprechungsprozess erst in fünf bis zehn Jahren abgeschlossen – schon deshalb, weil Johannes Paul II. nach vorsichtigen Schätzungen einen Aktenberg von 40.000 Seiten und viele Bücher hinterlassen hat, die ja für den Prozess alle gelesen werden müssen. Dazu kommt, dass er ziemlich alt geworden ist. Man muss also auch sehr viele persönliche Zeugnisse einholen. Wie soll man das in einem regulären Verfahren schnell schaffen bei einer so kleinen Behörde wie der zuständigen Glaubenskongregation? Die Regierungszeit von Johannes XXIII. war bedeutend kürzer – und dennoch hat sich das Verfahren über 20 Jahre hingezogen.
Also kein „Santo subito“?
Wohl nicht. Aber diese Art des Volksbegehrens verweist ja auf die Ursprungsform zurück. Die Heiligsprechung ist eingeführt worden, um das wild wuchernde Selig- und Heiligenwesen einzugrenzen – anders als die griechisch-orthodoxe Kirche, die ein solches Verfahren nicht kennt. Da kann man noch selig durch Zuruf werden.
Für eine Seligsprechung braucht man ein bestätigtes Wunder des Seligen nach seinem Tod, für die Heiligsprechung braucht man zwei.
Ja. Das Feststellen dieser Wunder ist übrigens theologisch bemerkenswert. Die Seligsprechung ist ja ein juristisches Verfahren, bei dem geprüft wird, ob etwas dagegen spricht, diesen Toten anzurufen für die Fürbitte bei Gott. Das ist eine theologische Vorstellung, die in dieser Form nur im Katholizismus denkbar ist. Entscheidend aber wirken Ärzte – übrigens auch protestantische – beim Seligsprechungsprozess mit, denn meist waren die Wunder Krankenheilungen, die von Ärzten geprüft werden müssen. Sie müssen dann für eine Seligsprechung erklären, dass eine stattgefundene Heilung nach ihrem medizinischen Wissensstand nicht erklärbar ist. Der Wunderbegriff ist also durch die Aufklärung geprägt: An blutige Hostien würde heute kaum einer mehr glauben, schon eher an weinende Madonnen.
Eine Nonne soll zu Lebzeiten des letzten Papstes von Schwindelanfällen geheilt worden sein.
Das kann ja auch eine große Last sein. Theologisch interessanter aber wäre, ob die Heilung eines Aids-infizierten Homosexuellen aus Los Angeles als Wunder anerkannt würde. Im Übrigen hält sich hartnäckig das Gerücht, dass auch im Umfeld des Kirchenkritikers Eugen Drewermann Wunder geschehen. Wer Wunder erst ab der Heilung von Leukämie gelten lässt, wird damit seine Schwierigkeiten haben.
Heilig- und Seligsprechungen erscheinen sehr mittelalterlich.
Im Mittelalter diente der erste Heiligsprechungsprozess dazu, den ausufernden Heiligen- und Wunderglauben einzugrenzen. Das hatte auch etwas mit den Deutschen oder Germanen zu tun: Die Menschen im alten Reich brauchten dauernd irgendwelche Helden.
Von den Gläubigen fast zerrissen wurde Elisabeth von Thüringen bei der Aufbahrung nach ihrem Tod – in der Sucht nach Reliquien, obwohl sie noch gar nicht heilig war.
Auch da würde ich dazu raten, dass man nicht so tun sollte, als sei uns das alles so ganz fern. Fußballspieler, die ihre Trikots tauschen, sehe ich ungefähr auf der Zivilisationsstufe einer Stammeskultur aus der Eisenzeit. Die Phänomene der Heiligenverehrung mögen uns ja alle sehr merkwürdig erscheinen, aber wir beobachten doch auch im profanen Leben dauernd solche Rituale der Erinnerung. Was sind beispielsweise Souvenirläden anderes als Anhäufungen von Geschmacklosigkeiten – gleichwohl verkaufen die wie wild. Der Mensch scheint Erinnerung zu brauchen.
Was könnte uns denn ein seliger oder vielleicht sogar heiliger Johannes Paul II. sagen? Welche Qualität hätte er dadurch gewonnen?
Die Heiligsprechung betrifft ja nur uns Katholiken. Was die Lebensleistung Johannes Pauls II. angeht, so war seine Nachricht: „Nie wieder Totalitarismus! Nie wieder Krieg!“ Dafür wird sein Pontifikat in der Kirchengeschichte stehen: der entschiedene Kampf gegen totalitäre Systeme. Das Problem ist natürlich, dass er die innerkirchliche Demokratie nicht besonders gefördert hat. Aber wer ernsthaft glaubt, katholisch zu sein und präfaschistisches Gedankengut ließe sich vereinbaren, muss dies außerhalb der Kirche tun. Das ist das Besondere an ihm. Nur: Dafür muss man ihn nicht selig oder heilig sprechen. Man muss ihn nur lesen.
Als Seliger würde Johannes Paul II. womöglich in einer Reihe stehen mit Pius XII., der zum Holocaust schwieg. Bei dem läuft auch ein Verfahren zur Seligsprechung.
Ja, das Verfahren läuft schon lange. Allerdings: Es ist schon erstaunlich, wie kurz das deutsche Gedächtnis ist. Denn der Vorwurf, der Papst habe geschwiegen, kommt aus einer Nation, die nicht nur geschwiegen, sondern Beifall zum Holocaust geklatscht hat. Ich würde ihn am liebsten selig sprechen, um die deutsche Verlogenheit offen zu legen.
Auch der Jüdische Weltkongress hat schon mehrfach öffentlich erklärt, er wäre entsetzt, wenn Pius XII. selig gesprochen würde.
Das ist etwas anderes. Aber wir müssen das grundsätzlich angehen. Ich habe generell meine Schwierigkeiten mit der Selig- und Heiligsprechung von Päpsten, denn wir haben seit Jahrzehnten, ja seit Jahrhunderten keinen Papst, der nicht im Zentrum der europäischen und Weltgeschichte stand. Deshalb wäre immer zuerst eine historische Aufarbeitung vonnöten. Bei Pius XII. kommen wir nicht zu Rande, nicht zuletzt, weil dauernd etwas Neues aus den Archiven auftaucht. Übrigens fand ich auch die Seligsprechung von Pius IX. verheerend.
Weil er auch antisemitisches Zeug geäußert hat?
Nicht nur das. Aber was bedeutet das eigentlich, wenn man so jemanden selig spricht? Pius IX. hat zehn seiner Soldaten noch erschießen lassen, bevor er Rom übergeben hat. Warum? Was soll das?
Man will kirchenpolitisch konservative Signale setzen.
Wenn Pius XII. selig gesprochen würde, wären er und Pius IX. die einzigen Päpste, die als Selige ein Dogma erlassen haben. Das würde diese Dogmatisierungskompetenz in einem Maße überhöhen, die kaum noch erträglich ist. Das Schweigen von Pius XII. zum Holocaust ist moralisch indiskutabel, politisch jedoch ganz auf der Linie seines politischen Selbstverständnisses. Denn er war ja der letzte Papst, der glaubte, der Kirchenstaat lebe durch die Diplomatie.
Will nicht Benedikt XVI. durch die Seligsprechung seines Vorgängers von dessen Popularität profitieren?
Das glaube ich nicht. Das ist für mich eine der rätselhaftesten Medienereignisse überhaupt, wie mit Benedikt XVI. ein deutscher Professor auf einmal zu einem Medien-Highlight wird. Deutsche Professoren sind normalerweise nicht besonders medienwirksam, wie ich aus eigener Erfahrung sagen darf. Und er ist sturzpopulär. Das ist doch faszinierend. So viele Fan-Websides hat ja noch nicht mal Madonna, womit ich die Sängerin meine!