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Archiv-Artikel

Nur grün ist nicht genug

INTERNATIONALER GIPFEL Auf der Konferenz Rio 20+ zur nachhaltigen Entwicklung sind im Juni über 1.000 Veranstaltungen geplant

Große Erfolge gibt es nicht zu feiern: Die Artenvielfalt nimmt ab, Wasser wird knapper, und der Kampf ums Land ist voll entbrannt

JÜRGEN REICHEL, VENRO

VON VOLKER ENGELS

20 Jahre nach der UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung will die Staatengemeinschaft nicht nur eine Bilanz des Erreichten ziehen, sondern auch nach Lösungen für die dringendsten Probleme der Menschheit suchen. Ein zentrales Thema auf der Tagesordnung: die Chancen und Grenzen einer weltweiten „grünen Ökonomie“. Die soll nach einer kürzlich vorgelegten Studie das Potenzial haben, weltweit bis zu 60 Millionen neue Jobs zu schaffen – vor allem in Entwicklungsländern.

Die Realität sieht heute allerdings noch anders aus: Auch 20 Jahre nach dem ersten Rio-Gipfel leiden vor allem arme Menschen in Entwicklungsländern weiter unter dem Rückgang natürlicher Ressourcen, fruchtbares Land wird zur Mangelware, die CO2-Emissionen steigen weiter. Rund eine Milliarde Menschen hungern, vier von fünf Menschen leben weltweit ohne soziale Sicherung, 2,5 Milliarden Menschen haben keinen Zugang zu sanitären Einrichtungen, listet der Bundesverband entwicklungspolitischer Nichtregierungsorganisationen (Venro) einige der globalen Probleme auf.

„Große Erfolge gibt es seit dem Gipfel nicht zu feiern“, bilanziert Jürgen Reichel die Entwicklung der vergangenen Jahre. „Die Artenvielfalt nimmt ab, Wasser wird immer knapper, und der Kampf ums Land ist weltweit voll entbrannt“, so der stellvertretende Venro-Vorstandsvorsitzende. Nationale Interessen von Staaten und transnationalen Konzernen würden die Debatten dominieren.

Die viel gepriesene grüne Ökonomie allein sei kein Weg aus dem gigantischen weltweiten Ressourcenverbrauch: „Im Vorfeld des Gipfels wird vor allem die Frage diskutiert, wie man das bestehende Wirtschaftssystem ein wenig grüner machen kann.“ Verbindliche Regulierungen, die für Staaten und transnationale Konzerne gleichermaßen gelten, fehlten. „Es wird mit weichen Formulierungen an den guten Willen appelliert – das reicht bei Weitem nicht aus, um die globalen Problem zu lösen.“ Eine Wirtschaft, die grundsätzlich von einem weiteren globalen Wachstum ausgehe, könne nicht funktionieren.

Die Abschlusserklärung des Gipfels, um die seit Monaten kräftig gerungen wird, sei „davon getrieben, dass die Wirtschaft nicht eingeengt wird“. Soziale und ökologische Aspekte seien „schmückendes Beiwerk am Rande im einschlägigen Kapitel zur grünen Ökonomie“, so Reichel.

„Grüne Ökonomie ist grundsätzlich zu begrüßen – sie allein ist aber keine Garantie dafür, dass Menschenrechte eingehalten werden, betont Benjamin Luig von der Hilfsorganisation Misereor. Weltweit komme es zu massiven Menschenrechtsverletzungen, wenn etwa Kleinbauern von ihrem Land vertrieben werden, um Platz für riesige Plantagen zu schaffen, die den Rohstoff für europäischen Biodiesel und Ethanol liefern. Auch beim brasilianischen Wasserkraftprojekt Belo-Monte, das vermeintlich ökologische Wasserenergie erzeugen soll, ist es zu Vertreibungen und Menschenrechtsverletzungen gekommen, kritisieren Menschenrechtsorganisationen.

„Internationale Konzerne sollten sorgfältig prüfen und verpflichtend darüber Rechenschaft ablegen müssen, welche Auswirkungen ihr Handeln auf die Menschenrechte vor Ort hat“, betont Luig. Für Menschenrechtsverletzungen oder Umweltzerstörungen durch ihre Tochterunternehmen müssten Mutterkonzerne zudem auch in ihrem Heimatland haftbar gemacht werden. „Gerade die ländliche Bevölkerung ist dringend darauf angewiesen, dass sie einen verbrieften Zugang zu den natürlichen Ressourcen Land und Wasser hat.“ Dass Staaten vereinbaren, ihre Investitions- und Handelsabkommen auf Menschenrechtsverträglichkeit zu prüfen, ist ein weiterer Vorschlag an den Weltgipfel.

„Stärker als bisher“, unterstreicht der Experte für Agrarpolitik, „sollten die Staaten der Erde die ökologischen Steuerungsmöglichkeiten ihrer Subventions- und Steuerpolitik nutzen.“

Alleine auf die Politik verlassen wollen sich viele NGOs allerdings nicht: Entwicklungs- und Umweltorganisationen planen in Rio mehr als 1.000 Veranstaltungen, mit denen sie die Konferenz kritisch begleiten werden, um Vorschläge für eine weltweit nachhaltige Entwicklung zu machen. Und das scheint auch nötig: die Konferenz in Rio, bei der mehr als 100 Staats- und Regierungschefs anwesend sein werden, muss auf mindestens eine prominente Mitstreiterin aus Deutschland verzichten. Angela Merkel hat ihre Teilnahme abgesagt. Das sei ein „entmutigendes Signal für die weltweite Zivilgesellschaft, die Frau Merkel beim G-8-Gipfel in Heiligendamm 2007 als Klimakanzlerin kennen gelernt hat“, findet Jürgen Reichel.