: Digitale Bilderflut
Was bekommen wir nicht zu sehen? „Give and Take. Bilder über Bilder“ in der Galerie der Gegenwart ist der Beitrag der Hamburger Kunsthalle zur Triennale der Photographie
Von Falk Schreiber
Die umgekehrte Bildersuche ist ein hilfreiches Tool: Man lädt ein eigenes Foto hoch, und die Suchmaschine spuckt daraufhin Orte im Web aus, an denen dieses Foto auftaucht. Pressefotograf:innen hilft dieses System bei der Prüfung, ob die eigenen Bilder von geizigen Medien genutzt werden, die das Honorar prellen wollen. Da wird das Foto ganz konkret zum Handelsgut, was den Link herstellt zum Titel der aktuellen Hamburger Triennale der Photographie: „Currency“, „Währung“.
Allerdings findet die umgekehrte Bildersuche nicht nur das eingegebene Bild, sondern auch Bilder, die irgendwie eine Ähnlichkeit zu der gesuchten Aufnahme haben. Die Algorithmen stellen hier irritierende Fundstücke her, die die Bedeutung des Anfangsbildes erweitern.
Viktoria Binschtok kombiniert in ihrer Serie „Networked Images“ (2017–2022) jeweils zwei solcher Bilder: Die durch eine Dollarnote gezogenen Kokswölkchen verwandeln sich in unschuldige Cumuluswolken vor tiefblauem Himmel, das rote Kleid der Künstlerin setzt sich fort im durch ein Glas schwappenden Rotwein.
Binschtoks ironische Bildarrangements sind in der Hamburger Galerie der Gegenwart zu sehen, in der Ausstellung „Give and Take. Bilder über Bilder“ nehmen sie einen Raum ein, als interessante, so trashige wie hochästhetische Installationen, die mit dem Gegensatz von Kunst und Massenproduktion spielen. Sie definieren so die Haltung des Kunsthallen-Beitrags zur Triennale der Photographie: Es geht um „Bilder über Bilder“, um das fotografische Nachdenken über das riesige Bildarchiv Internet.
Gerade Binschtok geht aber noch einen Schritt weiter – „Networked Images“ lenkt den Blick auf die Mechanismen, die dieses Archiv kuratieren. Auf die Algorithmen, die eine (zumindest formal sichtbare) Verbindungslinie zwischen Kokain und Wolke herstellen.
Im Grunde führt jede der in „Give and Take“ gezeigten Positionen zurück zum Archivgedanken. Taryn Simon etwa dokumentiert mit den Collagen aus der Serie „The Picture Collection“ (2012) die Arbeit des 1,29 Millionen Bilder umfassenden Archivs der New York Public Library’s Picture Collection, wobei ihr Augenmerk auf den Verschlagwortungen und daraus folgenden Hierarchisierungen der Sammlung liegt. Zu sehen sind Collagen zu Schlagworten wie „Financial Panic“, „Swimming Pool“ oder, abstrakter, „Objects“. Und während die Verschlagwortung bei Gründung der Collection 1915 noch von menschlichen Archivar:innen vorgenommen wurde, übernehmen diese Aufgabe heute ebenfalls Algorithmen.
Sortiert vom Algorithmus
Die Gefahr, die in dieser Digitalisierung der Bilderflut steckt, greifen etwa Adam Broomberg und Oliver Chanarin auf. Algorithmen steuern zum Beispiel, welche Motive auf Facebook oder auf Instagram zu sehen sind. Allerdings bestimmen sie auch, welche Motive aussortiert werden, etwa, weil sie zu politisch, zu explizit oder zu gewalttätig sind.
Die Arbeit „Blame the Algorithm“ fokussiert sich auf diese Ausschlüsse: Was bekommen wir eigentlich nicht zu sehen, wenn wir Bilder betrachten?
Einen ungeordneten Blick ins Archiv hingegen ermöglicht Evan Roth: Die „Internet Cache Self Portrait Series“ (seit 2014) sind in ihrer schieren Masse unübersichtliche Ausdrucke von Roths Netzcache, der sich innerhalb eines Tages angesammelt hat, gedruckt als Tapete, die einen gesamten Raum in der Galerie der Gegenwart bedeckt. Einen Raum, der mit Panoramafenstern den Blick auf Alster und Rathaus freigibt, Fenster, die in dieser Bilderflut selbst Bildcharakter annehmen.
Tatsächlich flutet die Ausstellung die Aufnahmefähigkeit weniger, als man beim Blick auf Evan Roths Arbeit denken könnte: Kuratorin Petra Roetting setzt weniger auf Masse als auf die politische Reflexion über die Frage, was man für ein Ordnungssystem für eine Fülle an Bildern benötigt, und welche Hierarchien diese Ordnungen nach sich ziehen.
Nicht von ungefähr heißt ein Themenblock der Ausstellung „Kanon und Gewalt“: Kanonisierung als gewalttätiger Eingriff ins Archiv. Auch wenn dieser Titel eine Ansage beinhaltet, die dann durch die primär formalästhetische Umsetzung nur schwach eingelöst wird: Sebastian Riemers hegt kanonisierte Kunst von Roy Liechtenstein bis Jeff Wall in die Enge eines Diaarchivs ein, Louise Lawler entkunstet Kunst, schließlich liefert Katharina Gaenssler mit „Ohne Titel (Vorhang für Louise Lawler)“ (2022) eine Hommage an Lawler. Da versandet der politische Anspruch im Archiv des Selbstbezugs, aber, zugegeben, er sieht ganz großartig aus dabei.
Halb Satire, halb Sarkasmus
Den Abschluss macht Thomas Ruff, in den Worten von Kuratorin Roetting „der Altmeister der Aneignung von Fotografie“. Seine 2015 begonnene Serie „press++“ besteht aus Pressefotos, wie sie in vordigitalen Zeiten als Ausdruck in Bildredaktionen gesammelt wurden, kombiniert mit den Beschriftungen auf der Rückseite, die beispielsweise die US-amerikanischen Atomwaffentests 1946 auf dem Bikini-Atoll mit nüchterner Nonchalance beschreiben: „What goes up must come down.“
Ästhetisch bringt diese halb satirische, halb sarkastische Arbeit die Fotokunst kein Stück weiter, aber als Reflexion über das Foto als Bedeutungsträger, über das Archiv als Fundort für diese Bedeutungsträger und schließlich über Kuration, Kanonisierung und Algorithmisierung als Ordnungssysteme für diese Archive gibt „press++“ einiges her. Zumal Ruff wahrscheinlich der international bekannteste Name in dieser angenehm wenig auf Stars setzenden Präsentation ist. Was einen auch intensiver über Kanonisierung nachdenken lässt.
„Give and Take. Bilder über Bilder“: bis 28. August, Hamburger Kunsthalle, im Rahmen der Triennale der Photographie
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen