piwik no script img

Archiv-Artikel

Nordischer Wein

Weingüter liefern sich seit Jahren einen Wettstreit darum, wer näher am Polarkreis die edlen Trauben anbaut. Jetzt beansprucht die Hamburger Bürgerschaft den Titel „Nördlichster Weinberg“ für sich

aus Hamburg Alexander Diehl

„Der nördlichste Weinberg der Welt“ – so konnte noch im April 2001 ein Artikel im Berliner Lokalteil der taz betitelt werden, der sich um die Wiederentdeckung des Weinbaus in Brandenburg drehte. Denn der Werderaner Wachtelberg unweit Berlins war, nicht ganz ohne Tricks, dem behördlich anerkannten Weinbaugebiet Saale-Unstrut angeschlossen worden – auch wenn dies immerhin rund 200 Kilometer entfernt liegt. Auf seine „nördlichst gelegene, weingesetzlich erfasste Weinlage der Welt“ konnte sich da der stolze Winzer etwas einbilden – mochten auch hie und da noch weiter nördlich Weinstöcke angepflanzt und geerntet werden.

Denn nicht jede genutzte Rebe begründet gleich so eine Weinlage. Wenn etwa die Gastronomenfamilie Lehmitz in ihrem Hinterhof in Hamburg-Eimsbüttel Blauen Portugieser wachsen und, „in besonders guten Jahren“, von einer befreundeten Kellerei an der Nahe einige Flaschen abfüllen lässt, dann ist das vor allem Liebhaberei und vielleicht ein Beitrag zur Zechkumpan-Wirt-Bindung. Aber keiner zum ohnehin wohl nie so recht ausgerufenen Wettstreit um die norddeutsche Weinkrone.

Seit Februar vergangenen Jahres nennt nun das Land Mecklenburg-Vorpommern das nördlichste zertifizierte Weinbaugebiet sein Eigen: ganze 3,5 Hektar umfasst zwar das „Stargarder Land“ bei Neubrandenburg gerade mal, vermarktet und verkauft werden darf der hier produzierte „Mecklenburger Landwein“ aber inzwischen. Wiederbegründet hat den Weinbau in der Region der Bremer Karsten Förster. Der Rechtsanwalt und, so ist zu vermuten, Weintrinker hatte Mitte der 90er Jahre das alte Herrenhaus Schloss Rattey gekauft und ließ es zum Hotel umbauen. In Ermangelung von Küstennähe oder anderen touristischen Qualitäten müsse eben eine hergestellt werden, befand er.

Und besann sich auf die Tradition des Weinbaus, der sich in Mecklenburg bis ins Mittelalter zurückverfolgen lässt, hier aber auch im 19 Jahrhundert wieder aufgegeben wurde – mit einigem Grund: Die großen Weinregionen im Südwesten produzierten besseren Wein, zumal kostengünstiger, und die neue Eisenbahn vereinfachte und beschleunigte den Transport.

„Deutschlands nördlichster Weinberg“ liege im niedersächsischen Städtchen Hitzacker, so heißt es bis heute noch gelegentlich: Seit dem 16. und bis ins frühe 18. Jahrhundert ist am Südhang des dortigen Burgbergs Wein gepflanzt und geerntet worden, bis der Hagel die Stöcke zerstörte – und es sich schlicht für niemanden mehr gelohnt haben dürfte, neu zu pflanzen. Seit 1980 wird es wieder versucht auf dem, wie es heißt, mittelmäßigen Boden von Hitzacker: Rund 120 Liter Ertrag bringen die 99 Weinstöcke.

„Nördlichstes Weingut der Republik wird vergrößert“, so überschrieb aber dieser Tage die Hamburger Bürgerschaft eine Presse-Einladung. In der Tat: 25 neue Rebstöcke wurden am Montag neu gepflanzt am Stintfang. Hier besitzt das Stadtparlament seit 20 Jahren einen so genannten Weinberg, genauer: ein paar Quadratmeter Land mit nunmehr 75 Stöcken darauf. Gestiftet hatten sie einst die Wirte des „Stuttgarter Weindorfes“, das ebenso lange alljährlich für einige Tage im Sommer auf der Hansestadt Rathausmarkt gastiert. Wie es sich für eine selbsterklärte Metropole mit unregelmäßig erneuertem Champions-League-Anspruch gehört, beeindruckt der Weinberg vielleicht nicht in Größe und Ertrag, so doch wenigstens in der Lage – am Elbhang zu St. Pauli, gegenüber den Landungsbrücken soll sogar die Zahl der Sonnentage stimmen.

Aus der weißen Phönix- und der roten Regenttraube keltert Winzer Fritz Currle daheim in Stuttgart-Uhlbach eine Cuvée namens „Schillerwein“. Davon bekommt Bürgerschaftspräsident Berndt Röder (CDU) im nächsten Jahr dann wieder einen Schwung geliefert, eine Flasche geht traditionell an den Ersten Bürgermeister, der Rest an „besondere Gäste“ des ehrwürdigen Hauses. Durchaus nicht ehrwürdig war, was Röders Vorgängerin Dorothee Stapelfeldt (SPD) erleiden musste: Mehrfach entwendeten in der Vergangenheit Unbekannte die Bürgerschaftsreben.