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Archiv-Artikel

Missbraucht, schwanger – und als „asozial“ stigmatisiert

ERINNERUNG Bündnis fordert Gedenken an Naziopfer, die in Rummelsburg inhaftiert waren

„Hier ist der authentische Gedenkort für die Erinnerung“

THOMAS IRMER, HISTORIKER

Viel ist über das Leben von Erna K. nicht bekannt. Die aus armen Verhältnissen stammende Frau arbeitete als Haushaltshilfe und wurde während der Naziherrschaft im Alter von 17 Jahren von ihrem Arbeitgeber missbraucht. Sie wurde schwanger und war als „asozial“ stigmatisiert zwischen 1941 und 1944 im Arbeitshaus Rummelsburg inhaftiert. 1944 wurde sie zwangssterilisiert.

Aktion der Gestapo

Die Historikerin Susanne Doetz stieß bei ihren Forschungen zur Geschichte der Zwangssterilisierung auf die Daten von Erna K. Die junge Frau war eine von Tausenden, die im Arbeitshaus Rummelsburg litten, weil sie als „asozial“ galten. Am 13. Juni 1938 verhaftete die Gestapo im Rahmen der „Aktion Arbeitsscheu“ tausende Menschen, die sich nicht in die NS-Volksgemeinschaft einfügen konnten oder wollten.

Am vergangenen Samstag organisierte der „AK Marginalisierte gestern und heute“ vor dem ehemaligen Rummelsburger Arbeitshaus eine Gedenkaktion, auf der auch die Historikerin Susanne Doetz sprach. Auf Transparenten, die an dem Gebäude befestigt waren, wurden außerdem aktuelle Forderungen formuliert: „Arbeitshäuser Rummelsburg – für einen würdigen Gedenkort“, hieß es dort.

Dieses Anliegen ist dem Bündnis sehr dringlich – denn das Rummelsburger Areal ist zum Filetstück der Immobilienbranche geworden. Zudem fürchtet die Initiative, dass sich die vom Bezirk Lichtenberg ernannte Expertenkommission, die ein Konzept für einen Gedenkort erarbeiten sollen, vor allem auf die DDR-Zeit konzentriert, in der das ehemalige Arbeitshaus als Gefängnis diente. Der Historiker Thomas Irmer, der sich seit Jahren mit der Geschichte der Berliner Arbeitshäuser befasst, bekräftigte vor Ort die Forderung der Initiative. „Hier ist der authentische Gedenkort für die Erinnerung der als ‚asozial‘ verfolgten Menschen“, sagte Irmer. „Sie dürfen nicht wieder an den Rand gedrängt werden.“

Georgel Caldararu von der Romaselbsthilfeorganisation Amaro Drom wies in seiner Ansprache darauf hin, dass in vielen Ländern Europas Roma und Sinti noch immer als „asozial“ stigmatisiert werden.

Tödliche Folgen

Für Dieter Eich hatte die Stigmatisierung als „asozial“ erst vor wenigen Jahren tödliche Folgen. Er war im Mai 2000 in Buch von Neonazis ermordet worden, die hinterher damit prahlten „einen Assi geklatscht“ zu haben. Die Initiative „Niemand ist vergessen“ sammelt Spenden für einen Gedenkstein für dieses Opfer der Stigmatisierung sogenannter Asozialer. PETER NOWAK