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Ein hilfsbereiter Kidnapper

Am Thriller „Fisch für die Geisel“ des Hamburger Filmemachers Steffen Cornelius Tralles war auch Hollywood interessiert. Aber dann kam Corona und hat den Erfolg ausgebremst

Von Wilfried Hippen

Hat es schon mal einen Film über ein umgekehrtes Stockholm-Syndrom gegeben? Der Hamburger Filmemacher Steffen Cornelius Tralles und sein Drehbuchschreiber Vasko Miletic-Scholz könnten da tatsächlich einen neuen Dreh für einen Thriller gefunden haben, und die sind bei den Hunderten von Genrefilmen, die jedes Jahr in aller Herren Länder produziert werden, sehr selten. Ihr Protagonist Piet ist einer der Entführer des reichen Kaufmannssohns Konstantin.

Doch schnell wird ihm sein gefesseltes und geknebeltes Opfer im Kellerverlies sympathischer als sein gewalttätiger großer Bruder Herm. Und für den Rest des Films versucht er zu verhindern, dass der ihre Geisel umbringt. Dabei entwickelt er sich vom Weichei zum widerwilligen Helden. Spiel- und Drehort ist – von wenigen in Hamburg gedrehten Außenaufnahmen abgesehen – ein altes, ziemlich heruntergekommenes Haus. So ist „Fisch für eine Geisel“ ein Genre-Kammerspiel im Stil von Quentin Tarantinos „Reservoir Dogs“ geworden, den Tralles auch selber als eines seiner Vorbilder nennt. Nun gibt es für Minimalismus in den Künsten fast immer einen pragmatischen Grund, und erst aus den Herausforderungen durch die Beschränkungen wird dann der Stil entwickelt. In diesem Fall wurde Tralles ein verlassenes Haus in Hamburg Volksdorf für vier Monate zur Verfügung gestellt. Der Absolvent der Hamburg Media School nutzte diese Chance für seine erste Regie bei einem Langfilm und er schrieb zusammen mit dem Autoren Vasko Miletic-Scholz in sieben Wochen die erste Fassung des Drehbuchs, das er dann während der Proben mit seinen drei Hauptdarstellern verfeinerte.

In der Regel gibt es bei Spielfilmproduktionen mindestens vier Fassungen eines Drehbuchs, bevor mit den Dreharbeiten begonnen wird, aber hier musste es schnell gehen. Diese Zeitnot war auch der Grund dafür, dass Tralles sich erst gar nicht darum bemühte, Filmförderung zu beantragen, denn die Behördenwege sind lang und Geld gibt es nur vor den Dreharbeiten.

Der schlitzohrige Hollywoodproduzent Roger Corman hat ähnlich gearbeitet: Wenn nach einem anderen Dreh die Kulissen etwa bei einem Horrorfilm für ein paar Wochen umsonst genutzt werden konnten, bastelte er in Rekordzeit aus dem Nichts eine B-Filmproduktion zusammen. Auch hier steht Tralles also in einer guten Tradition des dreckigen Genrefilms.

Als solcher ist „Fisch für die Geisel“ dann auch nicht nur spannend, temporeich erzählt und komisch, sondern auch stilistisch stimmig und mit einem spielfreudigen Einfallsreichtum inszeniert. Die Enge der Räume im Drehhaus nutzte Tralles, um mit düsteren und kargen Bildern eine klaustrophobische Stimmung zu schaffen.

Von wenigen kurzen Einstellungen abgesehen, filmte er konsequent aus der Perspektive seines Protagonisten Piet, den er in den ersten Bildern des Films so fotografieren ließ, dass der Darsteller Enno Hesse hier dem jungen Ethan Hawke erstaunlich ähnlich sieht.

Bis auf die Außenaufnahmen aus Hamburgs City wurde in einem maroden Haus in Volksdorf gedreht

So wird er zum Sympathieträger. Tralles entpuppt sich dann auch bald als ein „Meister des Heftpflasters“, denn sowohl Piet als auch seine Geisel Konstantin (Mats Kampen) haben schnell ramponierte Gesichter mit blutigen Verbänden – dadurch wirkt der Film brutaler, als er eigentlich ist. Wie in jedem guten Thriller ist die Erwartung des Schreckens wirkungsvoller als dessen Ausführung. Florian Hacke kann in der Rolle des Herm so schön finster mit dem Schlimmsten drohen, wie man es in einem deutschen Genrefilm selten sieht.

„Fisch für die Geisel“ wurde im Jahr 2019 fertig und hatte seine Weltpremiere auf den Internationalen Hofer Filmtagen. Dort bekam er gute Kritiken und avancierte zum Publikumsliebling. Danach sollte er auf einigen internationalen Festivals laufen. Doch das hat Corona verhindert. Für Tralles „zerplatzte ein Lebenstraum“: Trotz einer Einladung konnte er seinen Film nicht in Hollywood zeigen. Auch in Deutschland hatte er es schwer, ihn in die Kinos zu bringen. Die Verleiher mussten den Stau fertiger Produktionen abarbeiten, sodass Tralles mit seinem kleinen, unabhängig produzierten Genrefilm keine Chance hatte.

Und so verleiht er ihn nun schließlich selber. 2021 zeigte er ihn in einigen Autokinos, und in dieser Woche kommt er in die richtigen Lichtspielhäuser: Am 19. Mai findet die Premiere im Hamburger Abaton Kino statt, und danach gehen Regisseur und Hauptdarsteller auf eine Tournee, bei der sie neben den Großstädten durch Orte wie Rendsburg, Quickborn, Uelzen, Cuxhaven und Brake tingeln werden.

„Fisch für die Geisel“ von Steffen Tralles, Premiere mit Gästen: 19. Mai, Abaton, Allendeplatz 3, Hamburg

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