: Editorial
Wegen des Krieges und der Zensur musste die russische Zeitung Nowaja Gaseta ihre Veröffentlichungen einstellen – zum ersten Mal seit 1995.
Am 7. April wurde der Chefredakteur der Zeitung, der Friedensnobelpreisträger Dmitri Muratow, in Moskau attackiert. Die Angreifer wurden gefasst, aber die russischen Behörden werden sie nicht juristisch belangen. Der Journalistenberuf ist in Russland praktisch verboten, die russische Gesellschaft durch Hass und Denunziantentum vergiftet. Wir, das Team der Novaya Gazeta Europe, haben das Land verlassen, um unsere Arbeit fortsetzen zu können und denjenigen eine Stimme zu geben, die den Krieg niemals akzeptieren und nie unterstützen werden. Wir wissen, dass es Millionen von uns gibt, auf beiden Seiten der Grenze, die jetzt wieder durch Europa geht. Menschen, die sich auf Russisch gegen den Krieg aussprechen – das sind unsere Leser und Autoren.
Die proeuropäischen und proukrainischen Russen, die in ihrer Heimat mit der ständigen Angst vor Verhaftungen leben oder im Exil außerhalb Russlands, ohne Arbeit und Zuhause – sie haben jetzt ein bisschen Zeit, zu jammern und zu klagen. Alle unsere Gedanken sind bei den Ukrainern. Wir wissen um die moralische Verpflichtung, die wir gegenüber den Menschen in der Ukraine haben.
Als Bürger des Aggressorstaates müssen wir alles in unserer Macht Stehende tun, um den Krieg zu stoppen. Die russische Gesellschaft ist noch zu schwach, um Putin durch Massenproteste aufzuhalten.
Aber es ist unsere journalistische Pflicht, so vielen Russen wie möglich wahrheitsgemäße Informationen über diese Katastrophe zu liefern, die der russische Präsident Wladimir Putin über die Ukraine, Russland und ganz Europa gebracht hat. Die Novaya Gazeta ist zuallererst die Idee von einer Zeitung, die nicht von der russischen Zensur kontrolliert wird und die Wahrheit schreibt. Diese Idee darf nicht zerstört werden.
Am 9. Mai jährt sich zum 77. Mal der Sieg der Roten Armee im „Großen Vaterländischen Krieg“ über Nazideutschland. Diesen Tag begeht Russland stets mit einer großen Parade auf dem Roten Platz in Moskau. Doch was hat der Kreml in diesem Jahr zu feiern? Seit dem 24. Februar 2022 führt Moskau einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Der Kampf tobt aber auch an der Heimatfront: Opfer sind auch die unabhängigen Medien, die immer noch versuchen, der staatlichen Propaganda etwas entgegenzusetzen. Auch eine der letzten Bastionen des unabhängigen Journalismus, die Nowaja Gaseta, ist von diesen Repressionen betroffen.
Auf Initiative der taz Panter Stiftung liegt dieser Ausgabe der taz eine Sonderbeilage mit Texten der Novaya Gazeta Europe bei – auf Deutsch, Russisch und Ukrainisch. Tigran Petrosyan
Impressum:
Projektleitung: Tigran Petrosyan
Redaktion: Barbara Oertel
Übersetzung: Barbara Oertel, Gaby Coldewey, Іryna Andriyenko-Friedrich
Korrektur: Stefan Mahlke
Fotoredaktion: Erik Irmer
Layout: Sonja Trabandt
Illustration: Katja Gendikova
Die Artikel geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Kirill Martinow, Chefredaktuer der Novaya Gazeta Europe
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