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Archiv-Artikel

Erwartungen herunter gedimmt

FISKALPAKT Dem öffentlichem Theaterdonner zum Trotz liegen Regierung und Opposition in den wichtigen Fragen gar nicht so weit auseinander. Eine Analyse der Verhandlungen

Der Streit um die Finanztransaktionssteuer ist jetzt deutlich abgekühlt

aus Berlin ULRICH SCHULTE

Vor dem Spitzentreffen zum Fiskalpakt am Mittwoch dimmten alle Seiten die Erwartungen herunter: Bei den Gesprächen der Kanzlerin mit den Oppositionschefs im Kanzleramt komme sowieso nichts heraus, hieß es. Nachdem bei dem jüngst Beschimpfungen hin und herflogen, ist solch kluges Erwartungsmanagment nur rational. Doch lässt man den Theaterdonner beiseite, bleibt die Erkenntnis: Die Koalition, SPD und Grüne sind aufeinander angewiesen. Eine Analyse der taktischen Interessen und wichtigsten Streitpunkte:

Taktik: Die Kanzlerin braucht die Opposition, um im Parlament eine Zwei-Drittel-Mehrheit zu erhalten. Sie ist – wie Finanzminister Wolfgang Schäuble – für die Finanztransaktionssteuer. Die Bedingung der Opposition, die Regierung müsse sich zu ihr bekennen, nutzt ihr, weil sie so die FDP zum Einlenken zwingen kann.

SPD und Grünen hingegen können nicht zu viel für ihr Ja zum Fiskalpakt verlangen, denn beide Parteien haben sich strategisch auf Schuldenbremsen, Sparen und seriöse Finanzpolitik festgelegt. Den Pakt abzulehnen, der allen EU-Staaten Sparauflagen verordnet, wäre kaum darstellbar. Nicht ohne Grund deutet SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier den Willen zur schnellen Einigung an. Er sehe „keinen Selbstzweck darin, die Abstimmung darüber in den Herbst hinein zu verschieben.“

Finanztransaktionssteuer: Die Empörung bei SPD und Grünen über das angebliche Abrücken der Regierung von der Einigung zur Finanztransaktionssteuer ist abgekühlt. Es setzt sich wohl die Erkenntnis durch, dass Kanzleramtsminister Ronald Pofalla mit seiner lancierten Äußerung, eine Einführung sei in dieser Legislaturperiode nicht mehr zu schaffen, Recht haben könnte. Schließlich braucht eine Abstimmung mit mehreren Staaten tatsächlich Zeit. Sowohl Merkel als auch Schäuble – die deutschen Verhandler in der EU – beteuern, sich für die Steuer einzusetzen. Auffällig ist, dass SPD und Grüne jetzt nur zwei moderate neue Forderungen aufstellen – einen Zeitplan und Unumkehrbarkeit.

Prognose: Beides ist kein unüberwindbares Hindernis für eine Einigung. Den Kabinettsbeschluss bietet Schäuble an, Termine aufschreiben geht immer.

Schuldentildungsfonds: Lehnt die Koalition bisher strikt ab. Hinter dem schrecklichen Wort verbirgt sich eine Idee des Sachverständigenrats der Regierung: Die EU-Staaten würden dabei all die Schulden, die 60 Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes überschreiten, in einen Fonds überweisen. Für diesen hafteten zwar alle Länder, jeder Staat bliebe aber für die Tilgung seines Anteils selbst verantwortlich.

Schwarz-Gelb fürchtet eine Vergemeinschaftung der Schulden und führt verfassungs- und europarechtliche Probleme an. Den Grünen liegt das Instrument mehr am Herzen als der SPD, die es in den Verhandlungen niedriger hängt.

Prognose: Einigung schwierig. Es könnte auf eine windelweiche Formel hinauslaufen: Sollen die Juristen mal prüfen.

Wachstum: Die Koalition kann sich wie die Opposition vorstellen, beispielsweise das Kapital der Europäischen Investitionsbank aufzustocken, um Investoren in Schuldenstaaten zu locken. Ebenso kam man überein, EU-Mittel prioritär zur Aus- und Weiterbildung zu verwenden, um Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Bei weiteren Punkten liegen beide Seiten zwar noch auseinander, oft sind es aber nur Formulierungen. Wo die Regierung wolkig bleibt, will die Opposition Konkretes.

Prognose: Einigung möglich. Für Wachstum sind alle, grundsätzliche ideologische Widersprüche fehlen.