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Stefan Rahmstorf über Klimaskepsis „Wir müssen sofort handeln“

Klimaforscher Stefan Rahmstorf erklärt, warum die Klimakrise verdrängt wird: Über die Phasen der Klimaskeptiker-Falschbehauptungen

Stefan Rahmstorf ist Klimaforscher und Professor für Physik der Ozeane an der Universität Potsdam Foto: PIK

taz lab, 30.04.2022 | Von RAOUL SPADA

taz am wochenende: Herr Rahmstorf, wir haben massig Echzeitdaten von Messstationen auf der ganzen Welt, Eiskernbohrungen, sehr präzise Modelle über den menschengemachten Klimawandel. Eine „erdrückende Beweislast“, wie Guterres es bei der Vorstellung des letzten IPCC-Berichts genannt hat. Können Sie und alle anderen Klimatologen dann nicht in Frührente gehen?

Stefan Rahmstorf: Es wird in der Tat diskutiert, ob die Arbeitsgruppe 1 des Klimarats IPCC ihre Arbeit beenden sollte. Diese Arbeitsgruppe behandelt physikalische Grundlagen der Klimakrise – der Job ist letztlich getan.

Die Berichte der Arbeitsgruppen 2 und 3 zeigen Folgen und Gegenmaßnahmen – außerdem, wie krass wir die Ziele verfehlen. Was ist neu daran?

Neu ist, dass wir sofort handeln müssen, um unsere Emissionen bis 2030 zu halbieren. Die Chance zerrinnt uns zwischen den Fingern, weil die Politik nicht entschlossen genug handelt: Wir brauchen schnell einen realistischen Preis für CO2-Emissionen. Es darf nicht mehr gratis sein, die Atmosphäre mit Kohlendioxid vollzupumpen. Die Stromversorgung muss komplett auf Erneuerbare umgestellt werden, und jede Art von Subventionen für fossile Energien muss sofort abgestellt werden – Pendlerpauschale, Tankrabatte und dergleichen. Wir subventionieren unseren eigenen Untergang mit Steuergeldern, das ist doch aberwitzig.

So hat es Guterres formuliert: „Wir setzen unser eigenes Haus in Brand“…

... und subventionieren sozusagen noch das Feuer anstatt die Feuerwehr.

Unterschätzen wir die Klimakrise einfach, oder verdrängen und verleugnen wir?

Ich denke, es gibt beides: Es gibt Menschen, die gezielt und teilweise aggressiv verleugnen, dass wir ein Problem haben. Von denen bekommen Wissenschaftler Drohungen, werden diffamiert und angegriffen. Viele andere verstehen die Dringlichkeit des Problems nicht, die existenzielle Bedrohung. Diese wären gutwillig, wenn sie die Tragweite verstünden. Interessengruppen aus der Energiewirtschaft finanzieren dazu seit Jahrzehnten Vernebelungspropaganda mit Hunderten Millionen Dollar.

Es sind ja nicht nur internationale Konzerne, die da lobbyieren.

Das ist richtig. Man sieht genauso, dass Staaten, die ihr Geld mit dem Verkauf fossiler Energien verdienen, alles dransetzen, das möglichst lange weiter zu tun. Dazu gehört auch, Klimaschutz zu torpedieren. In der Verabschiedung der Zusammenfassung der IPCC-Berichte versuchen Länder wie Saudi-Arabien und Russland immer wieder, den Text zu „verbessern“. Diese Länder gehen auch mit Propaganda an die Öffentlichkeit und verbreiten Klimaskeptiker-Falschbehauptungen.

Sie haben diese Behauptungen mal in Trend-, Ursachen- und Folgenleugnung eingeteilt. Geht es da nicht inzwischen eher um das Bekämpfen der Lösungen?

Das ist eine natürliche Abfolge. Als ich in den 2000er Jahren anfing, auf Skeptikerthesen zu antworten, behaupteten noch einige, es gebe gar keine Klimaerwärmung. Die haben einfach den Temperaturtrend geleugnet. Dann kam die Phase, in der die Ursache bestritten wurde: „Okay, es gibt eine Erwärmung, aber der Mensch ist nicht daran schuld.“ Die nächste Phase der Verdrängung war dann die Folgenleugnung: „Wir müssen zugeben, es gibt die menschengemachte Erwärmung, aber es wird alles halb so schlimm.“ Jetzt sind wir in der Phase, in der die Leute Lösungen madig machen, weil man die Grundfakten beim besten Willen nicht mehr bestreiten kann: „Der Klimawandel ist ein Riesenproblem, aber Windkraft tötet Vögel“ oder, wie Putin mal gesagt hat: „Die Vibration der Windenergieanlagen treibt die Würmer aus dem Boden.“

Nach dem Motto: „Alles richtig, aber da kann man nichts machen?“

Genau, die nächste Phase sind die Doomer: „Nun ist sowieso alles zu spät, die Welt geht unter, wir können nichts mehr tun.“ Das sind alles nur verschiedene Möglichkeiten, sich vor der Verantwortung zu drücken, etwas zu unternehmen.

Stefan Rahmstorf auf dem taz lab:Klare Faktenlage“, Treibhaus, 12 Uhr