: Webers letztes Angebot
Kunstfreiheit versus Vertragstreue: Ein Bildhauer und sein Mäzen streiten sich vor dem Braunschweiger Landgericht erbittert über die Darstellung des Terrors vom 11. September 2001
von Kai Schöneberg
Was wäre passiert, wenn Beethovens Mäzen gesagt hätte, die „Ode an die Freude“ habe in der 9. Symphonie nichts zu suchen? Auch wenn Jürgen Weber an diesem Tag im Braunschweiger Landgericht Vergleiche mit den ganz Großen bemüht, könnte er vorerst im Streit mit der Richard-Borek-Stiftung, unterliegen.
Vor fünf Jahren hatte die von einem Braunschweiger Briefmarkenhändler gegründete Stiftung den emeritierten Kunstprofessor und Bildhauer damit beauftragt, eine Säule über „2.000 Jahre christliche Zeitrechnung“ zu erstellen. Es folgten unzählige Termine, Briefe und Einigungsversuche über die Säule, die eines Tages auf dem Ruhfäutchenplatz in Braunschweig stehen sollte – und gestern fast ein Eklat im Landgericht.
Inquisition, Reformation, Aufklärung, Kirche in der NS-Zeit – all das hat Weber inzwischen in ein 8,50 Meter großes Gipsmodell im Maßstab 1:1 gemeißelt. Etwa 1.000 Figuren. 10.000 Arbeitsstunden will er in das Werk gesteckt haben, das in drei Ringen gipfelt, in denen christliches Kreuz, muslimischer Halbmond und Judenstern platziert sind. Sogar ein Teil der endgültigen Bronzeplastik ist schon gegossen. Weber und Borek hatten sich auch darauf geeinigt, den Terror des 11. September 2001 in der Säule zu verewigen. Bloß: Wie?
Weber hat berstende Hochhäuser mit dichten Rauchwolken modelliert, die deutlich in die religiösen Ringe hinein schwelen. Deshalb hat der Geldgeber Borek, ein distinguierter Herr mit goldenen Messingknöpfen am marineblauen Zweireiher, inzwischen den Geschmack am Objekt gründlich verloren. Er will das Werk nicht abnehmen. 300.000 Mark soll Borek schon bezahlt haben, weitere Beträge im sechsstelligen Euro-Bereich stehen wohl noch aus. Die Darstellung des islamischen Terrors dominiere die religiösen Symbole eindeutig, sagt Boreks Anwalt Bernhard Tamm. „Herr Borek verlangt nicht, dass die Säule seinen Glauben darstellt“, betont er. Allerdings werde durch die Darstellung „dem Islam Intoleranz zugeschrieben“, sagt Tamm. „Und das akzeptiert Herr Borek nicht.“
Weber explodiert. Borek wolle seine „Komposition“ zerstören. „Eine Neugestaltung von zehn Zentner Gips in dieser Höhe können Sie mir nicht zumuten!“, ruft der empörte Bildhauer, und steht schon auf, um zu gehen. Weber, ein knorriger Typ mit Stock, Sneakers und Stoppelschnitt, ist Jahrgang 1928. Es gehe um die im Grundgesetz verbriefte Freiheit der Kunst. Seine Darstellung des 11. 9. sei „eine optimale Lösung“. Und: „Wenn das hier beschlossen wird, können sich die Künstler verabschieden!“
Der Vorsitzende Richter hat es schwer, die Wogen zu glätten: „Wir üben hier keine Zensur aus“, sagt Jochen Meyer. Allerdings habe der Bildhauer mit der Stiftung einen „Vertrag mit Genehmigungsvorbehalt“ geschlossen. Der Richter deutet an, er tendiere dazu, sich gegen den Künstler zu entscheiden, weil es sich bei Webers Darstellung des 11. 9. „um eine wesentliche Abweichung“ von den mit Borek abgestimmten Fassungen der Säule handelt.
Er stehe „vor der Gefahr, dass Ihr Werk nie realisiert werden kann“, appelliert Richter Meyer an Weber. Der Bildhauer hat nicht ausgeschlossen, notfalls bis zum Bundesverfassungsgericht zu gehen. Der Gang durch die Instanzen dauere Jahre.
Also, Webers allerletztes Angebot: „Wenn ich das Flugzeug streiche, die Wolken aber lasse?“, fragt er in Richtung Mäzen. Borek lacht: „Das ist keine Veränderung. Das ist zu wenig.“ Weber, grantelnd: „Sie sind nicht der Künstler, aber Sie halten sich für den Künstler!“ Am 27. Juli um 9 Uhr wird das Urteil verkündet.