berliner szenen: Sie will ehrlich zu ihm sein
Hundert Bahnen in 59 Minuten – in rückblickender Begeisterung erzählt die Frau von ihren sportlichen Erfolgen in der Schwimmhalle. Einmal wollte ein durchtrainierter Junge aus einem Verein mithalten. Vergeblich. Seine Rollwende war einfach nicht so dynamisch wie ihre. Jetzt schafft sie meist nur noch 50 Bahnen, an ganz guten Tagen auch mal 60, aber auf die Uhr sieht sie nicht dabei. Bloß nicht.
Die Frau ist übergewichtig, erheblich. Vor Kurzem hat sie einen Entschluss gefasst: sie wird anfangen zu laufen. Bis Ende des Jahres, eröffnet sie ihrem Gegenüber, will sie die Strecke von Potsdam nach Berlin schaffen. Ihr Vorsatz: Gewicht runter und Muskeln aufbauen. Die Frau redet aufgeregt in einem einzigen Wortschwall, sie nennt das ihren Adrenalinkick, aber den Mann irritiert das nicht im Geringsten. Er hört aufmerksam zu, bis er an der Reihe ist mit der Präsentation. Sportlich ist er nicht, schon gar nicht im Wasser, sein Hobby ist Kochen. Im Freundeskreis schwärmen alle von seiner Pilzpfanne. Mit Sahne kochen kann jeder, er nimmt lieber Ziegenkäse und griechischen Vollfett-Joghurt. Und Unmengen von Kräutern.
Die beiden haben sich in einem Dating-Portal kennengelernt, sie begegnen sich gerade zum ersten Mal und wetteifern im Selbstmarketing. Sie ist keine Freundin großer Geschenke, lässt sie wissen, aber romantisch veranlagt, schon eine einzelne Blume mache sie glücklich. Besonders, wenn sie selbstgepflückt ist. Aber sie will ehrlich sein. Sie hat schon mal Scheiße gebaut, richtig Scheiße. Ist schon ein paar Jahre her. Sie hat eine Frau verprügelt, ihr mit der Faust ins Gesicht geschlagen, Brille kaputt und zwei Zähne, dann in ihr Auto getreten und zum Schluss den Spiegel abgebrochen. Den Mann schreckt das nicht. Er hat kein Auto, er fährt Rad. Sein Blick sagt: Match. Claudia Ingenhoven
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