: „Die Piraten sind mir zu konservativ“
INFORMATIONSFREIHEIT Eine Ein-Thema-Partei sei keine Konkurrenz für die SPD, sagt Bundesjustizministerin Brigitte Zypries
55, SPD, amtiert seit 2002 als Bundesministerin der Justiz. Die Politikerin ist als direkt gewählte Abgeordnete des Wahlkreises 187 (Darmstadt) in den Bundestag eingezogen. 2009 unterstützte Zypries die umstrittene Initiative von Familienministerin Ursula von der Leyen, Internetseiten zur Bekämpfung der Kinderpornografie zu sperren. Sie ist im Schattenkabinett von Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier vertreten.
INTERVIEW DANIEL SCHULZ UND MALTE KREUTZFELD
taz: Frau Zypries, warum wählt jemand die Piratenpartei?
Brigitte Zypries: Das ist mir schleierhaft. Ich bin wirklich die Letzte, die die Bedeutung der Informationsfreiheit geringschätzt, aber ich finde es schon sehr dürftig, wenn sich das Programm einer Partei, die für den Bundestag kandidiert, im Wesentlichen auf dieses Thema beschränkt. Antworten auf Zukunftsfragen wie Arbeitsmarkt, Chancengerechtigkeit, Wirtschafts- und Finanzkrise ? Fehlanzeige. Was ich bisher von der Piratenpartei mitbekommen habe, war eher bescheiden. Ich war fast ein wenig enttäuscht von dem Niveau, auf dem da diskutiert wird.
Warum so harsche Worte?
Viele, mit denen ich diskutiert habe, nehmen die Tatsachen einfach nicht zur Kenntnis. Und das regt mich wirklich auf. Ich erlebe es zum Beispiel immer wieder auf Veranstaltungen, dass behauptet wird, bei der Vorratsdatenspeicherung würden die Inhalte der Telefonate aufgezeichnet. Das ist schlichtweg falsch. Wer so argumentiert, schafft kein Vertrauen in eine Partei.
Aber nehmen Sie die Befürchtungen ernst?
Ja, selbstverständlich. Ich habe das immer getan und auch öffentlich deutlich gemacht. Ich befinde mich konstant im Dialog mit Vertretern der Internetgemeinde.
Sie haben das Gesetz zu den Internetsperren mitgetragen. Treiben Sie so nicht viele netzaffine Wähler zu den Piraten?
Eine Wahlentscheidung sollte sich nicht nur auf eine spezielle Frage stützen. Aber wenn ich etwas politisch für richtig halte, dann kann ich das nicht fallen lassen, weil eine bestimmte Gruppe der Internetnutzer droht, eine andere Partei zu wählen. Das hätte mit konsequenter und geradliniger Politik nichts zu tun.
Sie würden den Wählerwillen respektieren.
Bei allem Respekt, die Kritiker dieses Gesetzes repräsentieren nicht den Wählerwillen, es gibt viele Menschen, die anderer Ansicht sind. Und es ist ja nicht so, dass wir nicht mit den Kritikern geredet hätten. Ihre Argumente sind berücksichtigt worden, wir haben die Regelung eng ausgestaltet, Rechtsschutz eingebaut und das Ganze auf drei Jahre befristet. Zur Wahrhaftigkeit im politischen Diskurs würde es gehören, das auch anzuerkennen. Daran fehlt es aber.
Die Kritiker glauben, das Sperrgesetz könnte die Vorstufe der Internetzensur sein. Für sie geht es um alles oder nichts.
Das ist inhaltlich falsch und zeigt mangelnde Professionalität im politischen Geschäft. Ich habe immer klar gesagt: Internetsperren dürfen nicht zu einem allgemeinen Überwachungsinstrument werden. Deshalb hat die SPD dafür gesorgt, dass es ein Gesetz gibt, das die Sperren strikt auf kinderpornografische Seiten beschränkt und zeitlich befristet ist. Vor allem aber haben wir den Grundsatz „Löschen vor Sperren“ durchgesetzt. Das ist ein Erfolg, da haben sich die Internet-Aktivisten Verdienste erworben. Schade finde ich, wenn deren einzige Reaktion ist: Jetzt reden wir nicht mehr mit euch, weil ihr das Gesetz trotz allem verabschiedet habt.
Die Kritiker wollten eigentlich das Gesetz verhindern.
Wenn man in einem demokratischen Meinungsbildungsprozess Einfluss nehmen will, muss man sich entscheiden: Entweder man verfällt in eine Blockadehaltung und muss dann hinnehmen, überstimmt zu werden, wenn man keine Mehrheit für seinen Vorschlag findet. Oder man mischt sich ein, versucht, die eigenen Positionen, so weit es eben geht, einzubringen und steht dann hinterher zum Ergebnis. Und nichts tun gegen kinderpornografische Inhalte im Netz ist keine Option.
War das Sperrgesetz ein Fehler?
Nein. Das Gesetz wurde notwendig, weil die Kollegin von der Leyen angefangen hat, Verträge mit den Providern über diese Sperren zu schließen. Ich habe gleich zu Beginn der Debatte deutlich gemacht, dass eine solche Vertragslösung nicht mit der Verfassung vereinbar ist. Zugangssperren sind ein Eingriff in Grundrechte und bedürfen deshalb eines Gesetzes. Um so wenig Rechte wie möglich zu beschränken, hat die SPD im Gesetzgebungsverfahren den Grundsatz „Löschen vor Sperren“ durchgesetzt. Das Problem an der Debatte war, dass sie kaum sachlich zu führen war.
Wieso?
Weil jede zutreffende Kritik an der eingeschlagenen Vertragslösung vom politischen Gegner sofort darauf verkürzt wurde, dass man ja ganz offenbar nicht gegen Kinderpornografie im Internet kämpfen wolle. Welch ein Unfug. Und auf der anderen Seite stehen dann diejenigen, die sagen: Das ist aber Zensur. Da kriegt man keine sachliche Ebene hin.
Gesetzt den Fall, Sie wären nach der Wahl Justizministerin einer Regierung ohne CDU. Was würden Sie am Sperrgesetz wieder ändern?
Zunächst einmal nichts, denn die SPD hat ja die Befristung durchgesetzt, um die Regelung evaluieren zu können. Ich gehe ohnehin davon aus, dass wir in der nächsten Legislaturperiode eine grundsätzliche Debatte über die Freiheit im Internet führen müssen. Wir müssen die Freiheit aller im Netz gewährleisten, nicht nur derjenigen, die technisch besonders versiert sind.
Warum bedienen Sie die Vorstellung vom Internet als rechtsfreiem Raum, in dem sich nur die Starken und die Outlaws durchsetzen. Die Gesetze gelten auch im Netz.
Weil alle wissen, dass die Globalität und die Geschwindigkeit im Netz Rechtsdurchsetzung faktisch sehr schwer macht. Haben Sie mal versucht, jemanden, der im Internet strafbare Inhalte über Sie verbreitet, daran zu hindern?
Wie lässt sich das ändern?
Zu allererst brauchen wir mal eine nüchterne Bestandsaufnahme. Das Problem ist doch, dass die Mechanismen, die wir in der realen Welt zur Durchsetzung der rechtlichen Regeln haben, nicht ohne weiteres in die Welt des Internets übertragbar sind, denn: Das Netz ist anonym, das Recht ist personalisiert. Das Netz ist global, das Recht gilt regional. Das Netz ist schnell, Recht braucht Zeit. Bis ich einen gerichtlichen Beschluss gegen jemanden im Ausland erwirkt habe, der ihn verpflichtet, bestimmte Sachen aus dem Netz zu nehmen, hat er die schon fünfmal auf einen anderen Server verschoben. Und da muss man sich schon überlegen, wie man mit diesem Befund umgeht.
Haben Sie eine Idee?
Wir brauchen Lösungen, wenn legitime Interessen kollidieren, beispielsweise wenn es um die Nutzung von Ideen und die Rechte der Kreativen an ihrem geistigen Eigentum geht. Wir müssen die Schwächeren schützen, allen voran die Kinder, aber auch die Verbraucher, die im Netz Opfer unlauterer Geschäftspraktiken werden. International brauchen wir einen „Gutes-Internet-Kodex“. Die Staaten dieser Welt sollten sich zusammensetzen und überlegen: Wie können wir dieses Internet einigermaßen sauber halten? In Europa könnte man eine solche Diskussion im Europarat anstoßen.
Und am Ende stünde eine Art Welthandelsorganisation für das Internet?
Nein, ich stelle mir das als transnationales Werk von Verträgen vor, als eine Art Kioto-Protokoll für das Internet. Das wäre eine Selbstverpflichtung der Staaten und Provider, bestimmte Standards im Internet einzuhalten.
In Schweden haben die Piraten bei der Europawahl 7 Prozent bekommen. Wäre das auch in Deutschland möglich?
Das starke Wahlergebnis der Piratenpartei in Schweden erklärt sich für mich vor allem aus dem Umstand, dass die Schweden, die hierzulande immer als sehr liberal gelten, eine extrem restriktive Innenpolitik machen. Ich gehe nicht davon aus, dass die Piraten in die Nähe der Fünfprozenthürde kommen.
Die Umweltbewegung wurde anfangs auch nicht ernst genommen. Plötzlich saßen die Grünen in den Parlamenten. Könnte das wieder passieren?
Es reicht nicht, wenn sich die Programmatik einer Partei darin erschöpft, einem Lebensgefühl Ausdruck zu verleihen nach dem Motto: Wir sind jung, wir kennen das Netz, und ihr Alten versteht davon nichts. Was die Piratenpartei zudem von den Grünen in ihren Anfängen unterscheidet: Ihr fehlen die Galionsfiguren mit politischem Profil, wie beispielsweise Otto Schily oder Joschka Fischer.
Sie sagen selbst, das Thema ist relevant. Das spricht für eine gewisse Dauerhaftigkeit der Piraten, oder?
Nein, das spricht für die Dauerhaftigkeit des Themas, aber nicht der Partei. Die Piratenpartei greift das eigentliche Thema ja gar nicht auf. Wenn ich sie ernst nehmen soll, müsste sie mehr zustande bringen als nur zu sagen: Die Vorratsdatenspeicherung ist schlecht. Die Piraten wollen nicht mehr als den Status quo im Netz zu erhalten. Das ist Besitzstandswahrung. Das ist konservativ und viel zu rückwärtsgewandt. Damit kann man keinen Blumentopf gewinnen.
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