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Tausche Konserven gegen Gemälde

Lange kaum beachtet, ist die Rolle von Emmy alias Galka Scheyer bei der Verbreitung moderner Kunst nun in ihrer Geburtsstadt BraunschweigGegenstand von Forschung und Förderung: Unkonventionell, durchsetzungsstark und laut hat sie in den USA den europäischen Expressionismus bekannt gemacht

Von Bettina Maria Brosowsky

Der Blaue Reiter, also jene um 1911 formierte lose Künstler:innen-Gruppierung um Wassily Kandinsky und Franz Marc, ist wohl allen an moderner Kunst Interessierten ein Begriff. Weniger bekannt ist „Die Blaue Vier“, internationalisiert „The Blue Four“ aus Lyonel Feininger, Paul Klee, Kandinsky sowie Alexej Jawlensky. Die bildeten allerdings keine neue Malergruppe. Ihr Zusammenschluss fand einzig auf dem Briefkopf statt und war ein Marketing-Label. Etabliert hat es die jüdische Malerin, Impresaria, Kuratorin und Kunstlehrerin Galka Scheyer (1889–1945) im Jahr 1924.

In jenem Jahr nämlich brach sie erstmals in die USA auf, um die Arbeiten der vier in einer Rundreise vorzustellen und Werke zu verkaufen. Ihre Schiffspassage beglich sie, ganz Optimistin, aus dem Vorschuss eines Förderers auf mögliche Interessent:innen. Diese beherzte Frau, die im Laufe ihres Lebens zu einer bestens in die internationale Kunstszene der klassischen Moderne vernetzten Akteurin avancierte, ist als Emilie Esther, genannt Emmy, in Braunschweig aufgewachsen. Ins Forschungsinteresse ist ihre Vita erst in den letzten Jahren gerückt, seit versucht wird, ein Bild der vergessenen oder durch den Holocaust ausgelöschten jüdischen Kultur abseits ihrer großen Zentren zu zeichnen.

Mittlerweile liegt der Ergebnisband einer internationalen Tagung zu Leben und Wirken Scheyers vor. Die war 2019 durch die Bet Tfila Forschungsstelle für jüdische Architektur der TU Braunschweig veranstaltet worden. Ein Verein hat sich dort auch gegründet, der unter dem Titel „Galka Scheyer Zentrum“ Biographie und Werk erforschen und über sie informieren will. Im Kontext des bundesweiten Festjahres „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ erschien zudem ein handlicher, 70 Seiten starker Wegweiser zu Scheyers Lebensphasen und Wohnorten in ihrer Geburtsstadt. Dort soll auch im kommenden Jahr eine große Ausstellung von Herzog Anton Ulrich- und Städtischem Museum ihr Leben und Wirken als „Agentin der Moderne“, so der missverständliche Titel, nachzeichnen.

Letztmals war Scheyer Ende 1932 zu Besuch nach Braunschweig zurückgekehrt, um im Mai 1933 endgültig nach Amerika überzusiedeln. Seit 1931 besaß sie bereits die Staatsbürgerschaft der USA. Dort blieb sie bis zu ihrem Tod in Hollywood.

Galka Scheyers Lebensweg begann ähnlich dem vieler gutbürgerlich assimilierter, religionsferner Jüdinnen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Deutschland. Geboren am 15. April 1889 in eine kulturell aufgeschlossene, wohlhabende Braunschweiger Familie – der Vater war erst Großhändler für Lederwaren, später Konservenfabrikant – wuchs sie mit zwei Brüdern auf. Künstlerisch begabt nahm sie privaten Malunterricht, der sich in einem respektablen Volumen impressionistisch bis pointilistisch angehauchter Landschaften, Stillleben und Porträts niederschlug. Noch mehr allerdings interessierten sie Mal-Reisen quer durch Europa und die Kunstzentren Paris, Brüssel, Zürich oder auf den Monte Verità bei Ascona.

Dennoch schien eine professionelle Kunstausübung nicht mit den familiären und gesellschaftlichen Konventionen vereinbar. Dass Scheyer stattdessen ihre Kontakte zu Künstler- und Samm­le­r:in­nen in den Dienst der Förderung und Vermarktung nicht nur ihrer vier Protegés stellte, war im Grunde dann ein noch gewagterer Schritt. Eigentlich konnten den nur wesentlich besser situierte Frauen wie die US-Amerikanerin Peggy Guggenheim meistern. Scheyer, als exzentrisch bis hysterisch beschrieben, kompensierte das fehlende Geld wohl mit jeder Menge Durchsetzungskraft. Ihr Spitzname Galka, russisch: die Dohle, den ihr Jawlensky 1919 gegeben haben soll, galt dann nicht nur ihrem schwarzem Haar, sondern auch ihrer, dem Vogel verwandten, durchdringenden Stimme und der Redegewalt, mit der sie ihre Interessen und die ihrer Künstler:innen zu vertreten vermochte.

Selber Sammlerin und Förderin, vermittelte Scheyer Kunstkäufe, betrieb aber nie eine eigene Galerie oder einen kommerziellen Kunsthandel. Um In­ter­es­sen­t:in­nen zu gewinnen, vertraute sie auf den persönlichen Kontakt und die Atmosphäre privater Räume. Solch Methode pflegten durchaus auch renommierte Galeristen wie der Berliner Alfred Flechtheim. Der bot bei üppigen Abendessen in seiner Wohnung einer prominenten Klientel wie dem Regisseur Josef von Sternberg oder dem Boxmeister Max Schmeling Kommissionsware an. Die verlangten dann gehörig Rabatt von den ebenfalls anwesenden Künstler:innen.

Wohl nicht nur wegen finanzieller Engpässe lebte Scheyer, oft nicht konfliktfrei, in den USA bei wechselnden Freun­d:in­nen

Derartiges Feilschen war in den USA unüblich. Dennoch blieb die finanzielle Situation Scheyers stets kritisch, vor allem, als nach der „Arisierung“ des elterlichen Besitzes und der Emigration ihrer Brüder der monatliche Zuschuss ausblieb. Hatte sie früher manchen Künstleranspruch auch mit Konservenkontingenten befriedigen können, verdiente sie nun Geld mit Kunstunterricht und Vorträgen. Ihre Sammlung verlieh sie für Ausstellungen. Scheyer inspirierte so eine ganz eigene Kulturszene im amerikanischen Westen, zu der nach 1933 immer mehr Emi­gran­t:in­nen aus Europa stießen.

Aus der Ferne beriet Scheyer Freun­d:in­nen beim Investment in europäische Kunst, die, anders als Geldvermögen, mit etwas Glück, als „Umzugsgut“ deklariert in die Emigration mitgenommen werden konnte, zwecks späterem Verkauf. Ob sie von solcherart „Fluchtgut“ profitierte, bleibt ebenso im Vagen wie die Provenienz von vier Grafiken Paul Klees, die, durch ihre Hände gewandert, mit dem Museum Heinz Berggruen 1996 nach Deutschland zur Berliner Nationalgalerie zurückkehrten.

Wohl nicht nur wegen finanzieller Engpässe lebte Scheyer, oft nicht konfliktfrei, bei wechselnden Freund:innen. Erst 1934 bezog sie ein eigenes, vergleichsweise bescheidenes Haus hoch über Los Angeles, das der Architekt Richard Neutra für sie entwarf. Die Straße, an der es liegt, hat sie Blue Heights Drive getauft. So heißt sie noch heute.

Das Haus bestand im Grunde aus nur einem einzigen großen Raum: Wohnbereich und Ausstellung gleichzeitig, mit weitem Balkon-Ausblick über die Stadt – die perfekte Möglichkeit für ihre unkonventionelle Art, moderne Kunst zu verbreiten.

Katrin Keßler (Hg‘): „Galka Scheyer – A Jewish Woman in International Art Business“,Imhof-Verlag 128 S., 29,95 Euro

Katrin Keßler und Gilbert Holzgang: „Galka Scheyer in Braunschweig“, kostenfrei u. a. in der Tourist-Info Braunschweig

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