: Die sterbende Stadt
ABRISSANGST Niedersächsische Fachwerkstädte suchen Lösungen gegen den wachsenden Leerstand. Tourismus heißt eine Antwort, eine andere, die Menschen vor Ort wieder für die Schönheit der Häuser zu sensibilisieren
VON JOACHIM GÖRES
Celle. „Haus zu verkaufen. Wohnfläche 3 x 130 Meter. Sanierungsstau.“ So steht es auf dem Zettel an einem heruntergekommenem Fachwerkhaus in der Celler Fußgängerzone. Das 1649 erbaute Gebäude ist seit acht Jahren unbewohnt. „Wir wollen knapp 100.000 Euro dafür haben, außerdem müsste alles neu gemacht werden. Am günstigsten wäre der Abriss und dann ein Neubau“, sagt Peter Heimlich, der Sohn des Besitzers. Es würden sich auch immer mal wieder Interessenten melden, doch die schreckten vor der Investition zurück. „Die Innenstadt stirbt ja langsam aus, man findet nur schwer Mieter“, sagt Heimlich bedrückt.
Immer weniger Menschen wollen in den historischen Fachwerkhäusern wohnen, weil die Räume klein und niedrig sind, nur wenig Licht einfällt und es weder Garten noch Balkon gibt. Auch der Standard der Einrichtung lässt oft zu wünschen übrig und hohe Energiekosten wegen schlechter Dämmung treiben zu allem Überfluss die Miete in die Höhe. In vielen Fachwerkstädten stehen mittlerweile rund 30 Prozent der Häuser leer und drohen zu verfallen.
Was tun? Darauf suchten die niedersächsischen Fachwerkstädte Celle, Duderstadt, Einbeck, Hannoversch Münden, Helmstedt, Königslutter und Northeim eine Antwort, die an der von der Arbeitsgemeinschaft historische Fachwerkstädte veranstalteten Fachwerk-Triennale teilnehmen. In Celle, in dessen 1.400 Wohnungen in Fachwerkhäusern nur noch 1.100 Menschen leben, machten sich im Sommer Studierende aus Hildesheim bei einem Workshop Gedanken, wie man das Städtchen so attraktiv gestalten kann, dass wieder mehr Menschen hierhin ziehen. Wie man hinter die pittoresken Fassaden das dazugehörige Leben bringen kann.
Mehrere Hinterhöfe zusammenlegen, nicht mehr benötigte Gebäude abreißen, kleine Wege zwischen den Häusern anlegen, damit Bewohner schnell zu einem geplanten Parkplatz in der Nähe gelangen können – das sind einige der Ideen der künftigen Architekten und Denkmalschützer. „Man muss überlegen, wie man die Menschen aus ihrem Einfamilienhaus mit Garten am Stadtrand wieder in die Altstadt zurückholt“, sagt Bernd Sammann, der an der Fachhochschule Hildesheim/Holzminden/Göttingen Architektur lehrt. „Mit der Vergrößerung der Innenhöfe schafft man einen Treffpunkt und fördert die Nachbarschaft.“ Und Parkplätze in der Nähe seien wichtig, weil kaum jemand auf sein Auto verzichten wolle. Die Wohnungen selber könnten heute ohne Probleme zum Beispiel durch Zusammenlegung von Räumen und Wärmedämmung auf einen modernen Standard gebracht werden, versichert Sammann.
In Hannoversch Münden hat der Tischler Bernd Demandt 1994 für 22.000 Euro von der Stadt ein mehr als 400 Jahre altes Fachwerkhaus gekauft, es in Eigenregie saniert und daraus ein Hotel gemacht. In einem anderen, bereits zum Abriss freigegebenen Fachwerkhaus hat er Ferienwohnungen eingerichtet und dabei im Inneren alte Balken freigelegt und die originalen Farben wieder rekonstruiert. „Für unsere Gäste ist meist der günstige Preis und die zentrale Lage in der Altstadt entscheidend. Es gibt aber auch viele Besucher, vor allem aus den USA und aus Asien, die ganz aus dem Häuschen sind, in einem Haus von 1564 übernachten zu dürfen“, sagt Demandt.
Der Tischler ist auch Mitorganisator der Reihe „Denkmalkunst“, bei der im Oktober 40 Künstler in leer stehenden Fachwerkhäusern in Hannoversch Münden ihre Arbeiten ausstellen werden. Auch eine nur vorübergehende Nutzung, so Demand, sei wichtig, weil dann Besucher in die Häuser kommen und sehen würden, welche architektonischen Schätze es in ihrer Stadt gebe. Es sei ein „großes Problem“ sagt Demand, „dass viele Menschen noch nie hinter die Mauern eines Fachwerkhauses geschaut haben und sich deswegen auch nicht für den Erhalt interessieren“.
Die Ergebnisse der Sommerakademie werden vom 18. bis 26. September im Neuen Rathaus in Celle ausgestellt. Infos unter www.fachwerktriennale.de