piwik no script img

Im Labyrinth des Prozesshaften

Das MaerzMusik-Festival erprobt ein erweitertes Verständnis Neuer Musik, mit vielen Verästelungen und ausfransenden Rändern. Das landet bisweilen in der Beliebigkeit und dem Getrappel von Füßen

Von Regine Müller

Wenn wir der Wissenschaft glauben, dann steht uns neben vielen Problemen ökologischer Natur immerhin wenigstens eine positive Entwicklung bevor, nämlich die Revolution der Pilze. Denn mit dem Verständnis für die hochkomplexen Strukturen dieser Organismen wachsen auch die Ideen, deren Möglichkeiten für eine nachhaltige Bioökonomie zu nutzen.

Auf die Idee dieses „next big thing“ setzt nun auch findig das Festival MaerzMusik als zentrale Metapher seines bewusst mäandernden und spekulierenden Programms. Schließlich versteht sich der Nebentitel „Festival für Zeitfragen“, den Berno Odo Polzer als künstlerischer Leiter bereits 2015 ausrief, in doppelter Bedeutung: Untersucht werden Fragen des Phänomens Zeit und unserem Umgang mit ihr im Hinblick auf die Zeitkunst Musik, aber auch auf brisante Themen der Zeit. Im Dramaturgen-Sprech ist das zentrale Thema die Suche nach „Relationalität“, und das liest sich das dann so: „Eine der leitenden Metaphern bei dieser Suche ist das Mycelium: das gewaltige Netzwerk aus verästelten Pilzfäden, die den Boden durchdringen, Lebensräume und Arten verbinden.“

Verästelt ist auch äußerlich die Organisation des zehntägigen Festivals: Zehn über Berlin verstreute Veranstaltungsorte – darunter die DAAD-Galerie, der Gropius Bau, die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, die Philharmonie, das Zeiss-Großplanetarium und das Kultur-Quartier Silent Green im ehemaligen Krematorium auf dem Weddinger Urnenfriedhof – bieten ein schwer zu durchdringendes Programm. Im Silent Green sind das Diskursformat „Thinking Together“, sowie die zentrale Konzertreihe „Interpoiesis“ angesiedelt.

Daneben gibt es Kunstinstallationen, ein eigenes Radio- und Filmprogramm, Workshops, Lectures und Vermittlungsprogramme aller Art, vieles ist auch online abrufbar. Ein Programmbuch gibt es nicht, lediglich einen Leporello und die labyrinthische Webseite, die beim Anklicken des Buttons „Details anzeigen“ häufig keine weiteren Auskünfte erteilt. Nun ja.

Der dreistündige Eröffnungsabend unter dem Titel „A Garden of Forking Paths“ (dem argentinischen Schriftsteller Jorge Luis Borges entlehnt) im Gropius Bau ist tatsächlich ein Konzert, das zumindest im ersten Teil einem linearen Ablauf folgt: mit einiger Verspätung betreten 18 People-of-Color-Performerinnen den Lichthof des Gropius Baus, setzen sich in einen engen Kreis und kämmen sich mit neonbunten Kämmen selbst und gegenseitig das Haar. Die scharrenden Geräusche des Kämmens werden verstärkt in den halligen Raum geschickt, die Performance „Haircombing Cycle“ verweist mit einfachsten Mitteln auf rassistische Klischees.

Es folgt „The Circle Flute“, vier MusikerInnen spielen vier zu einem Kreis zusammengeschmiedete Flöte, aber ob es sich hierbei um eine leider überlange Komposition oder eine Improvisation handelt, bleibt im Unklaren.

Ich bin ein taz-Blindtext. Von Geburt an. Es hat lange gedauert, bis was es bedeutet, ein blinder Text zu

Dauerunruhe im Raum

Es folgen einige hochvirtuose Soli von Mitgliedern des Spitzen­ensembles Klangforum Wien an verschiedenen Orten im und um den Lichthof, es erklingen Kompositionen etwa von Rebecca Saunders, Salvatore Sciarrino oder Toshio Hosokawa. Akustisch bleibt es schwierig, vieles verschwimmt im Überhall, aber das soll ja auch vielleicht so sein.

Außerdem herrscht eine Dauerunruhe im Raum, die im zweiten Teil dann völlig ausfranst. Dann nämlich werden verschiedene Räume des Gropius Baus parallel bespielt, das Publikum hat die Qual der Wahl, was dazu führt, dass viele der konzentrierten musikalischen Miniaturen im Getrappel fast zur beliebigen Begleitmusik eines hektischen Konzert-Hoppings werden. Auch wirken viele Übergänge improvisiert, kaum geprobt. Aber auch das soll, darf wohl so sein.

Nicht nach Plan verläuft dagegen das erste Konzert der nicht eben niedrigschwellig betitelten Reihe „Interpoiesis“, die Ergebnisse der Begegnungen von Musikern aus unterschiedlichsten Traditionen präsentieren will. Denn im Kuppelsaal des ehemaligen Krematoriums nimmt nur Robert Machiri aus dem Kollektiv PUNGWE an imposanten Mischpulten Platz, weder die Duopartnerin Memory Biwa noch der Klangkünstler Llorenç Barber sind vor Ort, beide sind verhindert, haben aber vorher wie geplant zusammengearbeitet. Für den künstlerischen Leiter Polzer war aber „der Prozess trotzdem extrem fruchtbar. Er wird sich wahrscheinlich erst später realisieren in voller Form. Das sind alles neue Arbeiten, Premieren und Prozesse. Wir haben aber in Interpoiesis bewusst auch die Möglichkeit offengelassen, dass Prozesse beginnen und Arbeitsschritte geteilt werden. Und jeder Abend hat einen anderen Entwicklungsgrad.“ Den ersten Eindruck, dass das Festivalprogramm extrem diskurslastig ist und die Anteile an Performances, Kunstinstallationen, Lectures und Mischformen präsenter sind als die Musik, weist Polzer zurück.

Mehr Nachdenken

„Die Gewichte haben sich keinesfalls verschoben, der Fokus liegt bei uns immer auf Klang, Musik und dem Hören. Aber, was stark dazukam, war das Nachdenken darüber. Die Zeit, die dem Konzert, den verschiedenen Formen von Konzert, dem Hören gewidmet ist, ist absolut gleich geblieben und davon nicht beeinflusst worden. Und auch bei den bildenden Kunstformaten, bei den Ausstellungen geht es immer um KünstlerInnen, die zwar nicht im Kanon der Neuen Musik sind, aber deren Arbeit ganz stark fokussiert ist auf Klang.“

So gibt es etwa in den Savvy- Contemporary-Galerieräumen eine Begegnung mit dem vor sechs Jahren verstorbenen Afroamerikaner Benjamin Patterson, der zu den heute wenig bekannten Gründern der Fluxus-Bewegung zählte und sich in seinen Arbeiten stark auf die Musik der westlichen Hochkultur bezog. Zu sehen sind Originalpartituren, Texte, Objekte, Videos und Archivmaterial.

Im vorläufigen Fazit (MaerzMusik geht noch bis Sonntag) widerstreiten die Eindrücke von ambitionierten Experimenten, erhellenden (Hör-)Erlebnissen und dem inflationären Gefühl von Beliebigkeit, das die womöglich kalkulierte Folge der Annahme ist, dass alles irgendwie mit allem zusammenhängt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen