piwik no script img

Quadratur einer Erfahrung

Reinald Nohal ist Künstler, Autor, Freund und Lebemann und hat früher die Paris Bar betrieben. Im Kunstraum SP2 Contemporary in Neukölln stellt er Sprachbilder und „Die Geschichte eines Verlustes“ aus

Textbild von Rainald Nohal Foto: RainaldNohal

Von Brigitte Werneburg

Martin Kippenbergers Gemälde „Paris Bar“ ist mal wieder Berliner Stadtgespräch. Denn es ist wieder in der Stadt. Es hängt im Haus am Lützowplatz und stammt nun von Götz Valien. Er ist der Auftragskünstler, den Kippenberger für das Motiv angeheuert hatte. Götz Valien zeigt eine eigene dritte Version und beansprucht das Copyright. Zuletzt hatte das Gemälde Furore gemacht, als es 2009 bei Christie’s für 2,5 Millonen Euro versteigert wurde, um die Steuerschulden zu begleichen, die die Betreiber der Bar, Michel Würthle und Reinald Nohal, angehäuft hatten.

Reinald Nohal hat für seinen Freund Martin Kippenberger ein ebenfalls ikonisches Kunstwerk ausgeführt, nämlich die erste Metro Net Skulptur – ein U-Bahn-Eingangsschacht auf der griechischen Insel Syros – für dessen World Wide Metro Net, das mit dem U-Bahn-Schacht auf der documenta 10 international berühmt wurde. Reinald Nohal freilich stellt mit dem kleinen Modell, das er im Neuköllner Kunstraum SP2 zeigt, nicht den zweiten U-Bahn-Schacht für seinen Freund aus, den er 1995 in Kanada, in Dawson City baute, einem Kaff von 1.500 Einwohnern, das 1896 durch den legendären Klondike-Goldrausch berühmt wurde.

Nein, er hat Interessanteres vor, und das natürlich in einem unabhängigen Projektraum, dem vom Künstler und Keith-Bar-Betreiber Ken Wiatrek organisierten SP2. Das kleine Modell zeigt also maßstabsgerecht das erste Blockhaus, das der Berliner Restaurantbetreiber und vorherige Wiener Architekt Nohal am Yukon 60 Kilometer flussabwärts von der kanadischen Goldgräberstadt gebaut hat. Wegen mangelnder Zimmermannsausbildung mithilfe eines Handbuchs. „Es hat sich herausgestellt“, sagt er gut gelaunt auf der Vernissage, „dass es ein gutes Buch war, so wie am Ende alles gepasst hat. So wie der obere auf dem unteren Baum lag, da war kein Spalt und nichts dazwischen. So baut man dort schon lange nicht mehr, da hab ich mir einigen Respekt erworben bei den Einheimischen.“

Er selbst wohnte in einem 1902 errichteten Blockhaus, das noch aus der Zeit des Goldrauschs stammte. Im Jahr 1991 brannte es vollkommen ab mitsamt den Büchern, der Plattensammlung und dem Hundeschlitten. Aber immerhin: Die dreizehn Schlittenhunde waren mit dem Leben davongekommen.

Die erschütternden Bilder des zerstörten Hauses und von dem schwarz verrußten, zugleich aber weiß vereisten Interieur, gemischt mit Bildern, auf denen das Gebäude noch intakt ist, füllen als „Geschichte eines Verlustes“ in Form einer Fotocollage eine Galeriewand. Gegenüber hängen schwarzgerahmt bunte Zwei– und Dreizeiler, sechsmal etwa „leiden tut weh“, erst in roter Schrift auf blauem Grund und schwarzer Unterzeile „Quadratur einer Vermutung“, dann Rot auf weißem Grund, dann Grün auf Rot, Blau auf Hellblau, Rot auf Gelb und schließlich Schwarz auf Braun.

Es handelt sich um Nohals Textbilder, auch Quadraturen genannt, weil sie in einer von Reinald Nohal erfundenen Schrift gezeichnet sind, die auf einem Quadrat basiert, das komplizierterweise aus fünf mal fünf „Quadrätchen“, wie Nohal sagt, zusammengesetzt ist und mit dem sich jeder Buchstabe darstellen lässt. „Es ist eine besonders hässliche Schrift, stur und eben quadratisch“, gesteht ihr Erfinder. Im Gegensatz dazu steht dann die Schrägheit der Sprüche, die mal nachdenklich, mal melancholisch und mal obszön sind oder einfach kalauern wie das „Benigne Melanchol“ und das „Maligne Psychosom“.

Nach Alaska war er gekommen wie er zuvor nach Berlin gekommen war, nämlich über seinen Freund Oswald Wiener. Mit ihm, der aus Wien wegen einer Verurteilung aufgrund einer Kunstaktion floh, hatte er Anfang der 1970er Jahre in Kreuzberg das „Exil“ betrieben, bevor sie – aufgrund eines Tipps von Otto Schily – die „Paris Bar“ übernahmen. Und als Oswald und Ingrid Wiener dann nach Kanada gingen, besuchte Nohal sie dort – und blieb. Nach dem Brand errichtete Nohal ein zweites wie ein drittes Blockhaus und schließlich das Dawson City Bunkhouse, ein ganzes Hotel mit 31 Zimmern in Holzbauweise, das Künstlerresidenzen anbietet. Erster Resident war natürlich Kippenberger.

Man darf sich Dawson City auch heute noch als klassische Wildweststadt vorstellen mit alldem, was ein Leben in einer solchen Stadt für seine Bewohner bereithält wie „Winchester, Kettensäge, Kanu und Schlittenhunde“, wie der hochgewachsene, gut aussehende und mit rotweißem Streifenhemd und rotem Samtsakko elegant gekleidete Künstler, der gerade seinen 84. Geburtstag feierte, amüsiert berichtet.

Ebenso elegant und dabei immer überraschend liest sich dann auch „Von verschiedenem Geschmack“, eine Geschichte in neun Kapiteln, die Nohal allein über das Zitieren aus den (verbrannten) Büchern seiner Bibliothek erzählt, darunter Shakespeare, Italo Svevo, Dieter Roth und – in Dawson City natürlich unvermeidlich – Jack London.

Bis 3. April, SP2 Contemporary, Schillerpromenade 2, Besuch nach telefonischer Vereinbarung: +4915736627651

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen