: Land der Ideen, Land der Skulpturen
BAUSTELLE NATION Der Hörspiel-Dia-Film „Prachtstraße“ von Johannes Raether scheidet die Geister der Architekturstudenten
Um den Film „Prachtstraße“ (2008) von Johannes Paul Raether sehen zu können, muss man zwischen Bauzäunen hindurch auf Brettern über Schotterpfützen balancieren, erst dann erreicht man den ehemaligen Güterbahnhof in Moabit, den das Zentrum für Kunst und Urbanistik momentan zu einer Künstlerresidenz umbaut.
Der Ort passt zur Veranstaltung, denn der Hörspiel-Dia-Film des 1977 in Heidelberg geborenen Künstlers wurde am Donnerstag im Rahmen der Akademie c/o gezeigt – eines nomadisierenden Masterstudiengangs, dessen Studenten Architektur und Städte erforschen.
Auch Johannes Raether geht es um Be- und Umdeutung von öffentlichen Räumen, wenn er in seinem Film den sechs riesigen silbernen Plastikskulpturen nachgeht, die die Werbeagentur Scholz & Friends 2006 während der Weltmeisterschaft an geschichtsträchtigen Orten in Berlin aufstellte. Ein Audi TT Roadster an der Siegessäule, eine überdimensionale Aspirintablette vor dem Reichstag, ein Bücherstapel am August-Bebel-Platz. Mit dieser Kampagne wollten die Bundesregierung und der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) Deutschland als „Land of Ideas“ darstellen und das Image einer leistungsstarken, technisch und kulturell marktführenden Nation fördern.
Kein Gott, kein Lebenslauf
Raether sieht diese Formen der Selbstrepräsentation kritisch. „Kein Gott, kein Staat, kein Lebenslauf“ schreibt er auf seiner Homepage und hinterfragt „die“ deutsche Identität immer wieder auch in fotografischen oder performativen Arbeiten. Die Imagekampagne „Deutschland – Land der Ideen“ war für ihn Anlass, auf die historische Aufladung der Orte einzugehen, an denen die Monumentalskulpturen jeweils platziert waren.
Schließlich stand der meterhohe Plastikbücherstapel genau dort, wo 1933 die Bücherverbrennung stattgefunden hatte und die Fußballschuhe lagen im Spreebogen, für den Adolf Hitler und Albert Speer einst die „Halle des Volkes“ planten. Raether ergänzt mit seinen Recherchen aber nicht nur die für das Verständnis der Architekten äußerst plumpen und simplen Skulpturen, sondern fragt mit seinen Dias auch nach ihrer impliziten Wirkung: Wie stellt sich die Nation dar? Überschreiben die Skulpturen die nationalsozialistische Vergangenheit? Was hat es zu bedeuten, wenn Deutschland sich inzwischen als Vorbild für Verarbeitung, als world champion in memory propagiert?
Damit verfolgt der Künstler interessante Ansätze, insgesamt hätte er seine Thematik allerdings besser auf den Punkt bringen können. Denn nach dem Film fragen die Seminarteilnehmer – allen voran der Architekt und Professor Arno Brandlhuber –, was denn nun eigentlich kritisiert wurde: die Skulpturen oder die „deutsche Seele“, die sie zum Ausdruck bringen sollten? Die Erinnerungskultur oder die Selbstvermarktung des Staates? Zwischen all den kritischen Diskussionsbeiträgen – es fehle der ökonomische Aspekt, Deutschland werde wieder nur auf die nationalsozialistische Epoche reduziert, der Film verweise nicht deutlich genug auf ein Außerhalb von Nationalismen – fällt allerdings das dialektische Moment unter den Tisch, das wahrscheinlich die eigentliche Stärke von Raethers Arbeit ist: Der Hörspiel-Film mit den vielen schwarzen, roten und goldenen Dias regt zum Nachdenken an, gerade weil er nicht eindeutig ist.
Deswegen funktioniert der Film, und deswegen funktioniert die Diskussion. Noch bis spät in die Nacht besprechen die Architekten die „Prachtstraße“, und es bleibt der Eindruck, dass die Baustellen – sowohl der Umbau des Güterbahnhofs als auch die Entwicklung zu einer Gemeinschaft jenseits von nationalen Konzepten – noch ziemlich lange Baustellen bleiben werden.
CATARINA VON WEDEMEYER
■ Akademie c/o: Vortragsreihe mit Seminaren zur „Raumproduktion der Berliner Republik“ www.akademie-co.org