: Dorffeste sind immer die schönsten
In der Hauptstadt der Regenbogencommunity weiß man den CSD zu feiern. Während die Homos tanzen und schwitzen, schauen die Heteros einem bizarren Treiben zu, das wie der Karneval zum festen Bestand der rheinischen Ordnung gehört
AUS BERLIN JAN FEDDERSEN
Um gleich mit einer freundlichen Beleidigung zu beginnen: Der CSD in Köln spielt in Berlin keine Rolle. Man hat außer dem eigenen Leben in der Hauptstadt nichts auf dem Radar, schon gar nicht, was in einer Stadt spielt, die nur ein gutes Viertel der Einwohner hat – und, wenn man mal da war, sich irgendwie gemütlich und dörflich ausnimmt.
Die Wahrheit ist aber: Berliner machen einen großen Fehler. In Köln entscheidet sich, was homopolitisch Macht erhält und was nicht. Niemand soll irritiert sein, dass die Straßenbahn in Köln sich U-Bahn nennt. Gerade die großen Verkehrsmittel sitzen in Köln, da verhüllt die Straßenbahn nur, dass die Musik in Berlin spielt, sie von Köln jedoch dirigiert wird.
Aus Köln kommen die meisten jener Homohelden, die in der Republik das Sagen haben. Alfred Biolek, Dirk Bach, Hella von Sinnen, Cornelia Scheel, Georg Uecker – und manche rechnen auch Alice Schwarzer dazu. Hat Berlin je eine Homomutti wie Trude Herr hervorgebracht? Desirée Nick? Bitte? Die Herr war eine Dame, die Nick könnte eine werden. Das ist der Unterschied.
Köln ist, nur mal die Regenbogencommunity betrachtet, in sich nicht so verfeindet. In Berlin wechselt man den Bezirk, wenn man bei den Dorfsheriffs in Ungnade fiel. In Köln zieht man am besten gleich nach Düsseldorf. Das ist dann zwar wie Niemandsland, wie Wüste ohne Sand, ein urbanes Nichts. Aber wer in Köln die Sitten einhält, kann es fein haben. Man lebt und lässt leben – immer im Geiste von Konrad Adenauer, der auch das Motto „man kennt sich und man hilft sich“ lebte und gut damit fuhr. Liegt das am Katholizismus? Dass die Beichte nur gut ist für die Sünden, die ihr vorausgehen? Berlin ist hingegen eine aufrechte protestantische Polithölle. Aufrecht die eigene Wahrheit für die letztgültige halten – das ist die Hauptstadt. Und in Köln werden die Kompromisse, das für alle am ehesten Lebbare ausgehandelt. In Berlin hat man sich beleidigt in die Gräben zurückgezogen, weil die rot-grüne Regierung nicht umgehend den Grundgesetzartikel 6 getilgt hat – Familie will man nicht, und Kinder schon gar nicht. In Berlin zählt man auf die aufrührerische Geste, in Köln erweitert man, weil ja dort auch der LSVD zu Hause ist, den Artikel 6 um das für Schwule und Lesben akzeptable.
Der CSD ist, unterhalb des krass Politischen, der Höhepunkt des Jahres. Gut findet man in Köln, dass die New Yorker Transen im Juni 1969 gegen korrupte Staatsbullen zu Felde zogen. Wäre ja nicht auszudenken, wenn die Unruhen von ihnen im Februar gestiftet worden wären. Dann müsste man Jahr für Jahr im Februar Solidaritäts- und Erinnerungsarbeit leisten. Das ist sehr schwer, weil im Winter ja all die schönen, hängenden, schwabbelnden und straffen Männer- und Frauenkörper nicht gezeigt werden können; wer will aus einem CSD schon mit einer heftigen Lungenentzündung hervorgehen? Und wozu sonst, wenn nicht, um sie beim CSD als Körperarbeit in eigener Sache herzuzeigen, werden all die Bodystudiogeschichten auf sich genommen? Eben. Außerdem aber ist im Spätwinter Karneval, und zwar der traditionelle, der homosexuell aufgefönte. Da wäre man sich doch sehr ins Gehege gekommen. Planung unmöglich.
So erklärt sich vielleicht auch ein Teil des Erfolgs vom Kölner CSD: Die Schwulen und Lesben und Anderen der Anderen feiern, dass die Häute schwitzen – und die Heteros schauen zu, weil es doch kaum bizarrer als ein gewöhnlicher Karneval ist. Nein, nein, das hat alles seine rheinische Ordnung: im Februar das Klassikumzugsmodell, Anfang Juli die alternative Variante, die jedoch nicht so alternativ ist, dass sie von den Klassikliebhabern abgelehnt wird.
Köln ist deshalb eine Reise wert. Nirgendwo sonst sind Heteros und Homos so wenig unterschieden. Wer nicht wagt, der nie gewinnt im Spiel der Sexualexperimente. Köln ist eine Party an sich, ein Umzug auf allen Kanälen, in engen Gassen, rummeligen Plätzen und verwinkelten Straßenzügen. Wer hier allein bleibt, kann nicht sagen, er oder sie sei mit niemand in Berührung gekommen. Das ist im Köln des Dorfes schier unmöglich. Selbst Priester in Diensten des Klerus haben hier ihr Vergnügen abseits von Kloster- und Kirchenmauern. Sieht doch sowieso keiner.
Denn das ist die Moral der Kölner, eine, auf die man neidisch blicken kann von Berlin, Hamburg oder München aus: Erlaubt ist, was gefällt. Und was nicht gefällt, wird gefällig gemacht. Nirgends ist der Markt der Eitelkeiten gnädiger. Man kann wie ein Grottenolm aussehen und doch als passables Modell begehrt werden. Muskeln und straffe Häute sind doch nur Vorwände, um sich in Schuss zu halten.
Köln ist das schönste urbane Dorf der Republik. Und Dorffeste sind die schönsten, klare Sache. Deshalb ist der Kölner Christopher Street Day eine Reise wert – und sei's mit der Straßenbahn.