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berliner szenenEin kupfer­farbener Rest

Mein erster Tag in Berlin beginnt verregnet grau. Passanten trotten mit Kapuzen und Schirmen über den Köpfen an der U-Bahn-Station Hallesches Tor entlang. Unter der Hochbahn leuchtet die Reklame des Istanbul Bistros. Zwei Männer stehen kauend mit gefüllten Fladenbroten vor dem Laden. Ein säuerlich fettiger Geruch bleibt unter dem Bahnsteig hängen.

Auf der Friedrichstraße kommt mir ein junger Mann in zerschlissenen Kleidern und mit Entzündungen im Gesicht entgegen. Er spricht laut vor sich hin und ruft plötzlich: „Ich habe Voldemort ermordet!“ Als er sieht, dass ich ihn anblicke, ruft er: „Hast du Kleingeld?“ Ein überraschender Übergang, wie ich finde, ich gebe ihm ein paar Münzen. Er wünscht mir einen guten Tag.

Als ich am Abend die Redaktion verlasse, gehe ich zur Commerzbank. Ein Mann, eingepackt in einer dicken Jacke und einer Bea­nie-Mütze, öffnet mir in gebeugter Haltung die Tür beim Betreten und Verlassen des Gebäudes. Ich lasse 70 Cent in den Pappbecher in seiner rechten Hand fallen. Kurz darauf sitze ich mit einer Freundin, die schon eine Weile in Berlin wohnt, in der U-Bahn. „Entschuldigen Sie die Störung. Ich bitte nur um eine kleine Spende, für was zu essen und was zu trinken“, höre ich jemanden hinter mir im Waggon sagen. Ich drehe mich zur Seite und ein junger Mann streckt mir seine Hand entgegen. Meine Freundin schaut mich an, als würde sie meine nächste Handlung erahnen wollen. Ich ziehe mein Portemonnaie aus meinem Rucksack und lege ein paar Zwanzig-Cent-Stücke in seine Hand. Er bedankt sich und setzt seinen Gang durch den Bahnwagen fort. Nach kurzer Stille sagt sie, „Voll lieb“.

Vier Tage später und nach vielen weiteren Begegnungen habe ich nur noch kupferfarbene Münzen im Portemonnaie. Sara Rahnenführer

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