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Die beginnende Auflösung des Bildes

Eine kleine Revolution: Wenn die Hamburger Kunsthalle jetzt ihre Impressionisten ausstellt, lässt sie die üblichen Kategorien und Nationalismen hinter sich

Von Hajo Schiff

Wenn Leichtigkeit ein integraler Bestandteil seines Themas ist, sollte ein Text darüber nicht allzu schwer daherkommen. Doch die Neuhängung der impressionistischen Kunst im ersten Stock der Hamburger Kunsthalle wirft durchaus ernsthafte Fragen auf. Zwar scheint der Durchgang durch die fünf Räume zunächst visuell stimmig, aber Direktor Alexander Klar und sein Team sprengen dabei bis heute eigentlich gültige kunstgeschichtliche Grenzen. Denn der weltberühmte Provenzale Paul Cezanne (1839–1906) und die fast 40 Jahre jüngere Hamburgerin Gretchen Wohlwill (1878–1962) in derselben Abteilung? Das ist nicht weniger als eine kleine museologische Revolution.

Bisher teils zur französischen Kunst des 19. Jahrhunderts sortiert, teils der „Klassischen Moderne“ zugerechnet, hingen impressionistische Bilder bisher in verschiedenen Abteilungen mit den je eigenen Kustoden Markus Bertsch und Karin Schick. Nun geben etwa 80, teils lange nicht gezeigte Exponate eine Neuerzählung jenseits der üblichen Kategorien und Nationalismen. „Das Impressionistische“ zeigt sich als eine über 60 Jahre in ganz Europa verwendete Ausdrucksform – über die differenzierteren kunsthistorischen Begrifflichkeiten wie die Unterscheidung des frühen Impressionismus und des Postimpressionismus nach 1900 oder die feinsinnig unterteilten diversen Schulen und Personalstile hinaus.

Der Begriff „Impressionismus“ wurde im Frühjahr 1874 geprägt, als Claude Monet seine zwei Jahre zuvor gemalte orange-violette, morgendliche Hafenansicht „Impression. So­leil levant“ nannte und erstmals im Pariser Atelier des Fotografen Nadar ausstellte (heute: Musée Marmottan Monet). Und die Kritik verwandte das Wort zuerst vor allem als Schmähbegriff zur Abgrenzung solcher schlecht gemalten Geschmacklosigkeiten von wirklicher, akademisch guter Kunst. Erst recht in Deutschland konnte der neue Stil noch schwerer Akzeptanz finden. Denn das war ja Kunst aus dem 1871 glorreich besiegten Land des „Erzfeindes“ Frankreich. Insbesondere der in diesen Dingen besonders inkompetente, aber meinungsstarke Kaiser und dessen politische Parteigänger lehnten diese Kunst rigoros ab. Das war allerdings eher in Berlin und für die Nationalgalerie ein Problem als im einen Hauch liberaleren Hamburg.

„Eine Art Augenkrankheit“

Auch wenn impressionistische Bildelemente schon in Manierismus und Barock gefunden werden können, musste es tatsächlich erst gelernt werden, diese neuen französischen Bilder zu „lesen“. Auch der erste Direktor der Kunsthalle, ­Alfred Lichtwark, räsonierte zuerst noch über den notwendig einzuhaltenden Abstand gegenüber dieser ja bloß skizzenhaften, von manchen als „eine Art Augenkrankheit“ beschimpften Malerei.

Der spätere Siegeszug des Impressionismus zu einer der bis heute beliebtesten Kunstarten begann langsam. Erstmals 1895 waren in Hamburg Arbeiten von Manet und Monet und weiteren Impressionisten unter den 835 (!) Positionen der zweiten „Frühjahrsausstellung“ von Kunstverein und Kunsthalle zu entdecken. Sie fanden zwiespältige, aber auch positive Erwähnung in der Presse. Hamburg spielte dann durchaus eine Rolle in der Durchsetzung des Impressionismus, was nicht zuletzt am inzwischen überzeugten Alfred Lichtwark lag – und seinen vorzüglichen Beziehungen zum Berliner Malerstar Max Liebermann einerseits sowie seiner Frankophilie andererseits, die ihn zu zahlreichen Besuchen nach Paris führte. So konnte 1896 Monets Stillleben „Birnen und Trauben“ angekauft werden.

Lichtwark hatte zudem die nirgends sonst verfolgte Idee, dem Publikum neue Malweisen durch die Wahl heimischer Motive vertraut zu machen: Für die 1889 gegründete „Sammlung von Bildern aus Hamburg“ lud er bekannte Künstler ein, vor Ort Hamburger Ansichten darzustellen. So entstanden Bilder der Stadt und ihrer Gewässer: Leopold von Kalckreuths „Heimkehrende Werftarbeiter auf der Elbe“ von 1894 mit dem in einzelne Pinselstriche zerfallenden Wasser oder der zart leuchtende Blick auf die Alster des Dänen Laurits Regner Tuxen. Max Slevoghts Blick über das Nicolaifleet auf St. Katharinen zeigt 1905 ein malerisches Gewusel von Arbeitern auf den Schuten, 1902 malt Max Liebermann „Die Terrasse des Hotels Louis C. Jacob in Nienstedten an der Elbe“ mit den Lichtreflexen unter den Linden, 1910 den „Abend am Uhlenhorster Fährhaus“. Den großen, weiten „Blick auf den Köhl­brand“ malt Lovis Corinth 1911, die Alsteransichten der französischen Spätimpressionisten ­Pierre Bonnard und Edouard Vuillard stammen von 1913.

Heute hat sich anscheinend die Dialektik von Inhalt und Form verkehrt: Konnte Corinths großes Bild von Zoodirektor Carl Hagenbeck und der Walrossdame Pallas 1911 seinen Malstil populär machen, gibt es heute bei Führungen durch die Impressionistenräume eher eine Entschuldigung für die Präsentation dieser inzwischen umstrittenen Person.

Der deutsche Kaiser lehnte die Kunst aus dem Land des „Erzfeindes“ ab

Freies Spiel mit dem Licht

In den fünf thematischen Zusammenstellungen „Ansichten der Stadt“, „Porträt“, „Landschaft“, „Auftritt und Inszenierung“, „Stillleben“ und „Pastelle“ glänzt der einst aus dem Realismus entwickelte Impressionismus in Stimmungsmomenten, eingefrorenen Augenblicken aus Alltag und Theater, mit stärker psychologisch aufgefassten als repräsentativen Porträts und dem freien Spiel des Lichts in der von der Industrialisierung bedrängten Landschaft. Und doch scheinen Unterschiede auf: Der französischen Kunst ging es oft um eine fast physikalisch verstandene, mitunter seriell untersuchte Erfassung des Lichts und der Farben.

Die Deutschen hielten länger am anekdotischen Motiv fest und interessierten sich noch bis in die 1920er-Jahre für die individuelle Psychologie der Wahrnehmung. Das bestätigte nicht zuletzt die Weiterentwicklung der Kunst: Max Beckmann, die Künstler der „Brücke“ oder der Hamburgischen Sezession kamen aus ihrer jeweiligen impressionistischen Frühphase zum Expressionismus, in Frankreich folgten schon früher der farbtrunkene Fauvismus und der analytische Kubismus.

In Hamburgs Kunsthalle sortiert man sich derweil weiter neu: Die Abteilung „Klassische Moderne“ soll nächstes Jahr neu präsentiert werden.

„Impressionismus“: bis 31. 12. 23, Hamburg, Kunsthalle

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