berliner szenen: Bienchen in der Sturmnacht
In unserer Straße hat der Orkan „Ylenia“ eine Kastanie wie einen mächtigen Arm mit spitzen Fingern quer über die Straße gelegt. Sie hat ein Auto und den dahinter stehenden Zaun eingedrückt. Als ich am Morgen aus dem Haus komme, steht eine aufgeregte Gruppe Menschen um das Auto herum. „Wissen Sie zufällig, wem das Auto gehört?“, ruft mir ein Mann aus der Gruppe zu. Ich kreuze die Straße. „Leider nicht“, sage ich.
„Da ist ein Hund im Auto!“, sagt eine Frau. Ich sehe durch das in ein Mosaik kristalliner Splitter verwandelte Fenster und bemerke einen Hund auf der Hutablage. Es ist einer dieser Hunde, die in gewisse Handtaschen passen. Er hat riesige Augen, und alles an ihm zittert. Ab und zu bellt er, und das Geräusch klingt durch das zerstörte Auto und den noch tosenden Wind wie ein dumpfes Hüsteln.
„Ist das nicht schrecklich?“, fragt die Frau. „Wer lässt denn seinen Hund bei so einem Wetter im Auto?“ Wir Umstehenden gucken betroffen. Ein Mädchen mit einem Schulranzen sagt: „Der hätte tot sein können.“ Alle nicken.
„Aber bei der Polizei anrufen und den Halter ausfindig machen, fällt aus“, sagt der Mann. „Die ham genug zu tun.“ – „Was ist mit der Feuerwehr?“, fragt die Frau. „Die müssen doch sowieso kommen wegen des Baums?“
Rechts ist da plötzlich ein älterer Mann, hebt die Hände, schlägt sie sich vors Gesicht und ruft: „Ach Gott ach Gott.“ – „Ist das ihr Auto?“, fragt die Frau schrill.
„Das Bienchen“, ruft der Mann und klopft gegen die Scheibe der Hutablage. Der Hund weint jetzt. „Ist das Ihr Auto?“, fragt die Frau wieder. Sie klingt streng.
Der alte Mann guckt sie an und sagt: „Von der Tochter. Wir sind spät nach Hause, und Bienchen hat geschlafen. Ich sollte doch aufpassen.“
Da meint der Mann von vorher: „Na da ham Se aber schon besser auf den Hund aufgepasst als auf das Auto.“
Isobel Markus
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