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IS-Terrorgruppe im Aufwind – aber ohne Kopf

US-Spezialkräfte haben den Chef der Terrormiliz „Islamischer Staat“ ausgeschaltet. Sie machten ihn in einem von Islamisten gehaltenen Teil Syriens ausfindig

Aufnahme des Wohnhauses von IS-Führer al-Kuraschi vor dem Angriff in der Nacht auf Donnerstag Foto: Fo­to: ­Department of Defense/ap

Von Jannis Hagmann

Die Wortwahl unterschied sich, doch in vielem erinnerte die Tötung des Terroristenchefs Abu Ibrahim al-Haschimi al-Kuraschi am Donnerstag in Syrien an jene seines Vorgängers Abu Bakr al-Baghdadi 2019. Während Donald Trump damals jubilierte, der Chef des sogenannten Islamischen Staats (IS) sei „winselnd und schreiend“ wie ein Hund gestorben, sagte der amtierende US-Präsident Joe Biden: „In einem finalen Akt von verzweifelter Feigheit“ habe sich dessen Nachfolger al-Kuraschi in die Luft gesprengt, um nicht für seine Taten zur Rechenschaft gezogen zu werden. „Wir sind hinter euch her und werden euch finden.“

Bidens Siegesrede vorausgegangen war wie 2019 ein groß angelegter und gut vorbereiteter Einsatz von Spezialkräften des US-Militärs im nordwestsyrischen Idlib nahe der türkischen Grenze. Die Provinz wird nach wie vor von islamistischen Regierungsgegnern kontrolliert, nicht aber vom IS selbst. Al-Kuraschi hatte sich in dem Ort Atmeh nahe der türkischen Grenze in einem schlichten dreistöckigen Haus mit Frauen und Kindern versteckt gehalten.

Laut New York Times, deren Reporter mit Nachbarn in Atmeh sprechen konnte, riss das Dröhnen von Kampfhubschraubern die Menschen aus dem Schlaf. Wenig später wiesen US-Soldaten die Nach­ba­r*in­nen an, ihre Häuser zu verlassen, und belagerten das Versteck al-Kuraschis. Per Lautsprecher forderten sie die Be­woh­ne­r*in­nen – darunter mehrere Kinder – auf, sich zu ergeben.

Zwei Stunden später endete die Aktion in einem Blutbad: Al-Kuraschi weigerte sich, sich dem US-Militär zu stellen und sprengte sich selbst in die Luft. Daraufhin stürmten die Spezialkräfte das Gebäude und lieferten sich Kämpfe mit weiteren Bewohnern. 13 Menschen wurden getötet. Nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte waren darunter vier Kinder und drei Frauen.

Die US-Regierung macht al-Kuraschi für den Völkermord an der Minderheit der Jesiden im Irak und für die Versklavung Tausender Mädchen und Frauen verantwortlich. Er soll eine Schlüsselrolle gespielt haben beim IS, der zeitweise große Gebiete in Ostsyrien und Irak kontrollierte, bevor er 2019 territorial besiegt wurde. Anders als sein Vorgänger al-Baghdadi trat al-Kuraschi nie öffentlich oder in Propagandavideos auf.

Al-Kuraschi soll 1976 im Irak geboren sein und im irakischen Mossul studiert haben. Das US-Außenministerium zählt etliche Namen auf, unter denen er bekannt war. Sein echter Name war demnach Amir Mohammed Said Abdul Rahman al-Maula. Infolge der US-Invasion des Irak 2003 soll er sich „Al-Qaida im Irak“ angeschlossen haben, aus der später der IS hervorging.

Biden machte al-Kuraschi am Donnerstag auch für den IS-Angriff in Nordostsyrien verantwortlich, mit dem die Miliz im Januar überrascht hatte. Hunderte Kämpfer hatten in al-Hassakeh ein Gefängnis belagert, um Gleichgesinnte zu befreien. Bei den zehntägigen Gefechten mit kurdischen Kräften, die auf den Angriff folgten, wurden mehr als 300 Menschen getötet. Auch wenn die Gruppe mit al-Kuraschi nun ihren Kopf verloren hat, endgültig besiegt sind die Dschihadisten nicht.

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