piwik no script img

Ode ans Oxytocin

Ein Team um Sopranistin Lisa Florentine Schmalz feiert das Kuschelhormon mit dem Musiktheaterabend „Dein Oxy“. Der ist kurzweilig, sehr versöhnlich und maximal hingebungsvoll

In Kuschelhormon-Kostüm am Flügel: Cymin Samawati, an der Klarinette Mona Matbou-Riahi Foto: Jonas Albrecht

Von Katrin Ullmann

„Was ist dein Lieblingsessen? Hast du dir schon mal ein Nest gebaut? Magst du Kinder? Oder zeugst du sie lieber?“ Unvermittelt taucht Lisa Heinrici zwischen etlichen hellblauen, amorphen Kissen auf. Der ganze Raum ist voll von diesen Objekten: wie unförmige Sitzsäcke sehen sie aus, wie erschlaffte Bäuche, Brüste, Beine oder Rüssel.

Fröhlich kauert Heinrici inmitten dieser körperlichen, weichen Landschaft, blickt sehnsüchtig, frech schmollend ins Publikum. Sie flirtet, säuselt und sondiert. Charmant und verlegen. Direkt und verschämt zugleich. Gleich zu Beginn fragt sie das Publikum nach dessen Begegnungen und Vorlieben, träumt von Liebe und vom Sichwohlfühlen, von Beziehungen und Berührungen, um dann genussvoll wieder in das Kissenmeer hinabzutauchen.

Aus diesen Kissen, die an Wellen oder an die massigen Körper einer eng zusammengerückten Walrosskolonie erinnern, ragt plötzlich eine Hand hervor, reicht einen sonnengelben – natürlichen weichen – Softball in die Luft, oder einen Daumen zum Darannuckeln.

Im Hintergrund steht ein Klavierflügel, von der Decke hängen weitere dieser Gebilde, Kontakt suchende Steckverbindungen mit Molekül-Verästelungen. Um Biochemie geht es schließlich, genauer um das Bindungshormon Oxytocin. Oder, wie es liebevoll heißt – denn tatsächlich ist an diesem Abend alles liebevoll, kuschelig und weich –, um „Dein Oxy“.

Ein 13-köpfiges Team um die Sopranistin Lisa Florentine Schmalz hat mit „Dein Oxy“ ein hormonlastiges Musiktheaterstück gemacht – mit feministischem Anliegen. „Das Bindungshormon Oxytocin hat uns vom ersten gemeinsamen Treffen an interessiert“, erzählt Schmalz, „es ist nämlich nicht nur das wohlbekannte Kuschelhormon, sondern wird auch beim Orgasmus freigesetzt, genauso wie es die Wehen bei der Geburt auslöst. Und es ist, und das ist fast das Wichtigste, kein per se weibliches Hormon, obwohl das immer wieder behauptet wird.“

Im Lichthof-Theater sind jedoch ausschließlich Frauen auf der Bühne zu sehen und zu hören – neben der eindrucksvollen Performerin Lisa Heinrici noch Lisa Florentine Schmalz mit ihrer unglaublichen Stimme sowie Mona Matbou-Riahi, die ihrer Klarinette so faszinierende wie verblüffende Melodien entlockt, und am Flügel Cymin Samawatie; die auch die zarten, stimmungsvollen Kompositionen des Abends verantwortet.

Männliche Mitspieler werden höchstens im Publikum gesucht, oder mal im Text erwähnt, wo sie mit einem süßen Pudel im Rucksack für Irritation sorgen, aber damit ja gleichzeitig ihre innige Bindungsfreude signalisieren.

Vor allem steht der Themenkomplex Mutterschaft im Fokus. „Eben auch, da wir im Opernkanon keine Darstellung davon gefunden haben, mit der wir einverstanden gewesen wären“, erklärt Schmalz, und fährt fort: „Wir wollen etwas anderes auf die Bühne bringen, Darstellungen von und Gedanken zu Mutterschaft oder besser Elternschaft und der Unterstellung einer vermeintlichen ,Natürlichkeit‘ daran.“

Kurzzeitig streift der Abend #regrettingmotherhood, den Birth­strike und den steten Rechtfertigungsdruck für kinderloses Glück. „Ich will keine Kinder. Ich bin eine Mutter ohne Kinder. Nach drei Fehlgeburten habe ich aufgehört. Ich bin keine Mutter. Ich stille. Ich bin still. Ich bin laut. Und in unserem Universum fliegen Brüste herum. Und die Frage, wann mein Dasein seinen eigentlichen Zweck erfüllt“, heißt es einmal im Text.

In diesem geht es um Fragen zu Mutterschaft und Gesellschaft, aber auch zu Bindung und Beziehung. Zwischen Mensch und Mensch, Mensch und Tier, Tier und Tier. Der Text stellt Fragen, gibt keine Antworten, kreist um persönliche Erfahrungen und um gesellschaftliche Erwartungen. Dieses sehr freie Spiel mit Worten und Text hat allerdings auch seine dramaturgischen Schwächen, mit nicht ganz zu Ende gedachten Unschärfen, wenig überraschenden Sex-Facts aus der Tierwelt (Gottesanbeterin frisst Gottesanbeter postkoital) und letztlich dann auch einer fehlenden Haltung zu den Themen, die recht assoziativ in den Raum geworfen werden.

„In unserem Universum fliegen Brüste herum. Und die Frage, wann mein Dasein seinen Zweck erfüllt“, heißt es im Stück

Die Uneindeutigkeit mag beabsichtigt sein an diesem kollektiv erarbeiteten Abend, „der unterschiedliche inhaltliche Perspektiven, aber eben auch unterschiedliche künstlerische Herangehensweisen verknüpft“, wie Regisseurin Kerstin Steeb erläutert. Doch diese Uneindeutigkeit lässt die Inszenierung streckenweise recht naiv verspielt, fast unreflektiert einvernehmlich wirken und manövriert sich manches Mal nah an die Grenze der Beliebigkeit. Ein klarerer Zugriff und eine wache Prise Zynismus hätten weh und gut getan.

Szenisch und musikalisch allerdings nimmt „Dein Oxy“ die Zu­schaue­r*in­nen immer wieder mit, besticht durch eine hohe Professionalität und durch die kluge Ausstattung, die Hanna Naske und Marie Gimpel gemeinsam mit der Kos­tüm­bild­ne­r:in Folimena Krause entwickelt haben. Spielerisch öffnet das Bühnenbild abseitige und doch unglaublich stimmige Denk- und Assoziationsräume: von Sofalandschaften bis Biochemie, von Stillkissen bis Steckverbindungen, von Eisprüngen bis Pollenflug, von sich aufrichtenden Penissen bis hin zu erschlaffendem Bindegewebe.

Immer wieder lässt Heinrici sich weich in diese Landschaft fallen, kriecht lustvoll tief hinein und durch manche Kissen wie durch einen Geburtskanal hindurch, eignet sich Teile des Bühnenbildes an zum unförmigen Kostüm. Dann kämpft, tanzt sie mit Lisa Florentine Schmalz ein taumelndes Boxduett, formt Hängebrüste und Bauchfalten oder lässt sich mit allen Beteiligten freudig seufzend auf eine gemeinsame Kuschelzeit ein. Wenn Schmalz gegen Ende des kurzweiligen, (fast zu) versöhnlichen Abends mit entwaffnender Klarheit und maximaler Hingabe von chemischen Verbindungen, von deren Ursache und Wirkung singt, perlt dieser Auftritt wie eine wunderbar warme Oxytocin-­Dusche.

Großartig, herrlich: eine als liebliches Abendlied getarnte Arie, maximal sehnsuchtsvoll gesungen, mit einem Text zwischen Gehirn und Gefühl. Was braucht man eigentlich mehr? Höchstens vielleicht noch das gute Rosenpflegeöl.

„Dein Oxy – ein Musiktheaterabend von einem Team um Lisa Florentine Schmalz“: 17., 18. und 19. 2., jeweils 20.15 Uhr, Lichthof-Theater, Mendelssohnstraße 15, Hamburg. Es gilt die 2G-Regel. Tickets: https://lichthof-theater.de

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen