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Archiv-Artikel

In Grund und Boden

Lance Armstrong zeigt beim Auftaktzeitfahren der Tour de France einmal mehr seine Überlegenheit. Jan Ullrich wird vom Amerikaner ebenso gedemütigt wie alle anderen Herausforderer

VON ANDREAS RÜTTENAUER

Die Tour de France des Jahres 2005 war gerade einmal ein paar Stunden alt, da war sie für viele schon entschieden. Lance Armstrong hat es wieder einmal geschafft, genau zum richtigen Zeitpunkt topfit zu sein. Er hat im Eröffnungszeitfahren auf der Insel Noirmoutier seine Konkurrenten im Kampf um den Gesamtsieg in Grund und Boden gefahren. Nur einer war an diesem Tag stärker als Armstrong: Sein Landsmann David Zabriskie absolvierte die 19 Kilometer zwei Sekunden schneller als der sechsmalige Tour-Champion. Zabriskie fährt für das dänische Team CSC, das nun den ersten Träger des gelben Trikots auf den folgenden Etappen abschirmen, mithin jede Menge Arbeit leisten muss. Der Tour-Neuling in Gelb konnte sein Trikot auf der zweiten Etappe, die der Belgier Tom Boonen im Massensprint gewonnen hat, in der Tat verteidigen. Sein Team wird also weiter arbeiten müssen. Armstrongs Team Discovery Channel kann sich weiter einrollen.

Auch bei Jan Ullrich ist vieles wie in den Jahren zuvor. Er hat es wieder einmal nicht geschafft, topfit an den Start zu gehen. Immer wieder diktierte er in die Blöcke der immer noch geduldigen Journalisten, dass er in diesem Jahr weiter sei als im Vorjahr. Vor vier Wochen hat die französische Sportzeitung L’Équipe sich die Mühe gemacht, die Aussagen Ullrichs aus diesem Frühsommer mit denen des Vorjahres zu vergleichen, und stellte kaum Unterschiede fest. Seit Samstag ist klar, dass Ullrich die Tour wohl wirklich erst gewinnen kann, wenn Lance Armstrong abgetreten ist. Um 19.05 Uhr überholte ihn, den Zeitfahrspezialisten von einst, der Mann mit der Startnummer 1, der wie immer mit einer irren Trittfrequenz pedalierende Lance Armstrong. Ullrich erfuhr eine Demütigung sondergleichen und reagierte nach dem Rennen wie immer. Ein beinahe gleichgültiges Gesicht machte er, als er sagte: „Ich bin jetzt ein bisschen demoralisiert.“ Ein totaler Einbruch sei das aber nicht gewesen, er wolle weiterkämpfen, schließlich dauere die Tour noch drei Wochen. Regelmäßig ließ Ullrich nach einem durchwachsenen Start verlauten, dass er immer ein wenig Zeit benötige, um in die Tour hineinzukommen. Das mag ja noch angehen, wenn die Schleife, wie in den Vorjahren üblich, mit einem Minizeitfahren, nicht aber, wenn gleich zu Anfang 19 harte Kilometer gegen die Uhr zu absolvieren sind.

Natürlich war Ullrich ein wenig geschwächt in das Rennen gegangen. Am letzten Tag vor dem ersten Start war er im Training gegen ein Betreuerfahrzeug gefahren und hatte sich leicht verletzt. „Nach einem solchen Unfall am Vortag war es normal, dass er keine guten Beine haben konnte“, meinte Lance Armstrong zum Thema Ullrich.

Vielleicht ist es aber gar nicht normal, am Tag vor der Tour gegen ein Teamauto zu knallen, vielleicht ist auch das ein Zeichen mangelnder Professionalität. Die Fragen mag man sich nun in der Teamleitung von T-Mobile stellen. Auch Fragen, ob Ullrich schon jetzt als Kapitän abgelöst werden soll, dürften heiß diskutiert werden. Alexandre Winokourow wurde Dritter am Samstag. Dennoch war er nicht viel besser als Jan Ullrich, der mit seinen 66 Sekunden Rückstand auf Armstrong Platz 12 belegte. Gerade einmal 15 Sekunden schneller war der ehrgeizige Kasache bei der Auftaktetappe. Er ist damit einer jener Favoriten, die von Armstrong deklassiert worden sind. Ivan Basso, der Vorjahresdritte, verlor 1:28 Minuten. 1:59 Minuten verlor gar Andreas Klöden, der weit entfernt ist von der Form, die ihn im Vorjahr auf Platz 2 geführt hat. Wenn es also schon keinen neuen Toursieger geben wird, ein neuer Vizechamp ist durchaus wahrscheinlich.