Ein Kopf wie ein Pappkarton

O-PLATZ Marcus Weber hat in Kreuzberg bunte, expressive Bilder von Kreuzberg gemalt. Dort sind sie derzeit in der Galerie Kai Hoelzner zu sehen

Manchmal schimmert der Zeitungstext noch durch: eine Traueranzeige; eine Kurzmeldung zur NSU

Ein schöner Tag am Kottbusser Tor. Die Galerie Kai Hoelzner liegt ein bisschen versteckt auf dem Balkon, gleich neben dem Café Kotti. Außer dem Galeristen ist niemand in den kleinen, hellen Räumen, in denen Bilder von Marcus Weber gezeigt werden.

Der erste Eindruck ist: bunt. Die Bilder, die meist um die 10.000 Euro kosten, vermitteln den Eindruck, schnell gemalt gewesen zu sein. Das eine Bild auf der rechten Wand heißt „O-Platz 14:11“. Und es besteht größtenteils aus unterschiedlichen Mustern unterschiedlicher, meist expressiver Farbigkeiten. Jemand hat einen roten würfelförmigen Kopf, der aussieht wie ein Pappkarton. Zwei Köpfe erinnern an Papierflieger; zwei Jogger laufen mit roten Köpfen aus dem Bild. Auf einer Litfaßsäule steht „Moderne Zeiten“. Ich denke an die gleichnamige schöne Wochenendseite der FR, die leider vor 15 Jahren eingestellt wurde. Das „Moderne Zeiten“ spielt aber weder darauf noch auf den Chaplin-Film an, sondern auf eine Ausstellung des berühmten Malers Ludwig Kirchner, wie mir Kai Hoelzner später erzählt.

Auf der Längsseite der Galerie ist eine Bildinstallation namens „O/X“ aufgebaut. Die Figuren des Bildes sind auf Zeitungspapier gemalt und an die Wand geklebt. Ein Hippie-Trommler zum Beispiel mit Rasta-Haaren. Manchmal schimmert der Zeitungstext noch durch: eine Traueranzeige; eine Kurzmeldung zur NSU. Bunte Wege kreuzen das Bild. Irgendwo liegen die Füße von einem, der irgendwo liegt; irgendwo ein hingefallenes Fahrrad und ein überquellender Papierkorb.

Dass es schön bunt ist, ist schön, aber eigentlich gefiel mir die große Ausstellung in der KMA („Kreuzberger Musikalische Aktion, Friedrichstraße“) besser. Fast tausend von Kindern gemalte Eulenbilder hingen da, weil der diesjährige Karneval der Kulturen unter dem Motto „Fliegt mit der Eule“ stand.

Später erzählt mir Kai Hoelzner, der seine Galerie seit Anfang des Jahres betreibt, dass Marcus Weber im letzten Jahr ganz akribisch die Adalbertstraße in einer Serie abgemalt hatte, und erklärt dann noch einmal alle Bilder.

Die Kunst von Marcus Weber bestehe im „Remixen“. Das eine Bild erinnert ihn an den Blog von Rainald Goetz. Er erzählt, dass er seine Galerie am Kottbusser Tor hat, „weil meine Großmutter am Kottbusser Tor geboren wurde“, berichtet von Kunstlehrern, die mit ihren Klassen manchmal vorbeikommen, betont, dass die Leitmotive der Bild auch interessant seien; zum Beispiel Nachtigallen, Fahrradfahrer, Jogger oder ein Typ mit Kamera.

Ich schaue mir noch einmal die Jogger auf dem O-Platz-Bild an und denke an das Gespräch mit dem Zeichner Vitek Marcinkiewicz, das ich vor etwa zwei Wochen vor der Galerie Laura Mars geführt habe. Wir hatten draußen gestanden und Vitek hatte sich lustig aufgeregt über die Veränderungen der letzten Jahre in Kreuzberg. Mittlerweile sei es ja so, dass man gar nicht mehr die Wohnung verlassen möchte, weil an jeder Straßenecke Stretching gemacht wird. „Gesunder Geist – gesunder Körper“, „die haben alle keine Manieren“, überall diese ganzen Jogger – kurz: „Kreuzberg ist für mich nicht mehr annehmbar.“ DETLEF KUHLBRODT