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„Schleichende Radikalisierung“

Schauspieler Peter Zschorsch über die Inszenierung von „Adressat unbekannt“ über den Beginn der NS-Zeit

Foto: privat

Peter Zschorsch

68, Physiker, bis 2016 Pressedokumentar und seit 1977 Mitglied im Kellertheater Hamburg.

Interview Petra Schellen

taz: Herr Zschorsch, was passiert im Stück „Empfänger unbekannt“ der US-Amerikanerin Kathrine Kressman Taylor?

Peter Zschorsch:Der 1938 in den USA erschienene Briefroman handelt von einer Freundschaft zwischen dem Deutschen Martin und dem amerikanischen Juden Max. Gemeinsam führen sie Anfang der 1930er-Jahre in den USA eine erfolgreiche Gemäldegalerie. 1932 beschließt Martin, nach Deutschland zurückzugehen, damit seine Kinder „die richtige Bildung erhalten“.

Dabei erstarkten dort gerade die Nazis.

Ja, und das verändert ihre Freundschaft fundamental. Versichern sie einander zunächst noch ihre Freundschaft, wird Martin immer radikaler nationalsozialistisch, verwendet immer mehr antijüdische Stereotypen der NS-Propaganda. Er schreibt an den jüdischen Freund: „Ihr seid niemals tapfer genug, um euch zu wehren. Daher die Pogrome.“ Oder: „Du nennst mich liberal. Ich bin kein Liberaler. Ich bin ein deutscher Patriot.“ Martin ist in meinen Augen ein Opportunist, der im Dritten Reich Karriere macht. Der auch aufgrund der gut gehenden Galerie in den USA und der stetigen monatlichen Überweisungen von dort gut leben kann. Noch in einem seiner letzten Briefe schreibt er: „Ich will mit Juden keinerlei Umgang mehr haben, ausgenommen bleiben lediglich die fälligen Zahlungen.“

Max überweist weiter und nimmt das alles hin?

Nur bis zu einem bestimmten Punkt. Irgendwann steht Max’Schwester – eine Schauspielerin, die gegen jeden Rat als Jüdin durch Deutschland tourt – auf der Flucht vor SA-Schlägern vor Martins Tür. Er schickt sie weg, schreibt später an Max: „Zum Glück hörte ich ihre Schreie nur noch ein paar Minuten lang.“ Irgendwann bekommt Max dann einen Brief an seine Schwester zurück mit dem Vermerk „Adressat unbekannt.“ Das ist der Wendepunkt.

Inwiefern?

Max schlägt zurück. Nach dem Tod der Schwester schickt er unverständliche Briefe, die um eine angeblich von Martin zu organisierende Ausstellung kreisen. Die Gestapo deutet sie als codierte Anschlagspläne. Martin wird vorgeladen, bittet Max, damit aufzuhören. Max macht weiter. Bis einer der Briefe zurückkommt: „Adressat unbekannt.“

Szenische Lesung „Empfänger unbekannt“: Fr, 4. 2., und Fr, 25. 2., jeweils 20 Uhr, Kellertheater Hamburg. Reservierung erforderlich unter ☎040-84 56 52 oder https://kellertheater.de. Es gilt 2G+ und Maskenpflicht

Welchen Part lesen Sie bei der Aufführung?

Den des amerikanischen Juden Max. Mein Kollege Hans-Gerd Heidel liest den Part des Deutschen. Musikalisch begleitet und intensiviert wird die Inszenierung durch das Cellospiel des dritten Protagonisten, Ulf Jöde.

Wie kam die Autorin, die auf Bitten ihres Verlegers aus Verkaufsgründen unter männlichem Pseudonym schrieb, zu dem Thema?

Das ist nicht ganz klar. Sie war keine Jüdin und arbeitete von 1926 bis 1928 als Werbetexterin. Irgendwann muss sie Originalbriefe gelesen haben, aus denen sie diese Geschichte spann. In den USA fand der Roman, der zuerst in einer Zeitschrift, später als Buch erschien, riesige Resonanz. Die erste deutsche Fassung ist erschütternderweise erst im Jahr 2000 herausgekommen. Dabei ist ein solcher Text in Zeiten des erstarkenden Rechtsextremismus so wichtig. Deshalb wollte ich ihn unbedingt aufführen. Um zu zeigen, wie schleichend Radikalisierung passiert: durch das ständige Wiederholen, das gezielte „Einbläuen“ ausgrenzender Stereotypen.

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