Dem Vergessen entrissen

Sie waren angesehene Juristen, sammelten Kunst und waren eng mit der Hamburger Kunsthalle verbunden. Nach 1933 wurde die Sammlung Wolffson aus der Erinnerung verdrängt, weil die Familie als jüdisch galt. Jetzt beleuchtet die Ausstellung „Von Menzel bis Monet“ die bislang noch kaum erforschte Sammlung

Gemalt vom damals berühmtesten Maler Deutschlands: Max Liebermanns Porträt von Albert Martin Wolffson Foto: Christoph Irrgang © Privatsammlung in der Hamburger Kunsthalle

Von Hajo Schiff

Wie soll es benannt werden, wenn Ute Haug, die Provenienzforscherin der Hamburger Kunsthalle, eine historische Sammlung dem Vergessen entreißt: Revision wird nicht mehr im lateinischen Wortsinn verstanden, Entschädigung ist zu materiell, Wiedergutmachung ist zu paternalistisch und überdies paradox. Erinnerung wäre passend, aber aus der wurde alles einst vorsätzlich verdrängt. Doch es gibt noch die Archive. Und so kann die Geschichte mühsam neu erzählt werden. Das Thema ist die einst bewunderte und vielfach mit der Kunsthalle verknüpfte Hamburger Sammlung Wolffson: Der Titel der ihr gewidmeten Kabinettausstellung „Von Menzel bis Monet“ lässt die Qualität schon ahnen.

Büsten, Fotos und Porträtbildnisse führen in die Kaiserzeit und machen ein damals ganz selbstverständlich auch jüdisch geprägtes, großbürgerliches Leben anschaulich. Die meisten Mitglieder der Familie Wolffson waren Juristen, besonders berühmt wurde der Reichstagsabgeordnete Dr. Isaac Wolffson: Er war zentral an der Formulierung der 1877 verabschiedeten Reichsjustizgesetze beteiligt, die in wesentlichen Teilen noch heute Gültigkeit haben. Eine Prachtausgabe der Gesetze mit allegorisch historistisch verziertem schweren Silbereinband mit Goldornamenten, mit einem Bildrelief der Justitia nach Raffael und vier Kaisermedaillons erhielt er in Anerkennung seiner Leistungen. Das Ehrengeschenk, ein Entwurf aus dem Atelier des Hamburger Rathaus-Architekten Martin Haller, dessen Umsetzung von Justus Brinckmann, dem ersten Direktor des Museums für Kunst und Gewerbe, beaufsichtigt wurde, glänzt hier in einer Vitrine und zeigt deutlich den herausragenden Status des jüdischen Juristen in der Hamburger Stadtgesellschaft.

Die Rückgabe verfolgungsbedingt entzogener Werke mag ein materieller Korrekturversuch an geschichtlichem Unrecht sein. Die Erinnerung an die willkürlich gebrochenen Leben ist noch wichtiger

Die Kunstsammler aber, um die es hier vorrangig geht, sind dessen Sohn Albert Wolffson (1847–1913) und seine Frau Helene (1848–1925). Auch er war ein erfolgreicher Anwalt, er war im Aufsichtsrat von Banken und von 1880 bis 1910 Abgeordneter der Hamburger Bürgerschaft. Dort und als Mitglied des „Comité für die Sammlung von Bildern aus Hamburg“ und der „Kommission für die Verwaltung der Kunsthalle“ und weiterer Kunstinstitutionen unterstützte er die Kunst ideell und materiell und stärkte in der Auseinandersetzung um die moderne Kunst – das meinte damals den impressionistischen Stil – meist die Positionen des befreundeten Direktors Alfred Lichtwark. Umgekehrt beriet der Kunsthallendirektor ihn beim Aufbau seiner Sammlung und machte ihn mit Max Liebermann bekannt, der dann 1906 sein Porträt malte. Der damals 59-jährige Präsident der Berliner Secession war zu dem Zeitpunkt sicherlich der berühmteste Maler Deutschlands. Schon 1891 hatte er auf Anregung Lichtwarks Bürgermeister Petersen porträtiert – das Bild erregte damals aber noch starkes Missfallen.

Die Sammlung Wolffson hatte einen unüblichen Fokus auf Arbeiten auf Papier. Sie umfasste über 800 Zeichnungen, Kupferstiche, Radierungen und Lithografien sowie 74 Gemälde und Pastelle von Künstlern des Naturalismus, Realismus und Impressionismus. Da alles inzwischen zerstreut ist, geben stellvertretend einige Blätter aus dem Bestand der Hamburger Kunsthalle einen Eindruck der vormals in der Sammlung befindlichen, nach den Inventarlisten bekannten Stücke. Gezeigt werden neunmal Grafik aus Hamburg, 15-mal aus Deutschland und als Schwerpunkt neun Arbeiten von Max Liebermann. Aber auch Frankreich, England und der Norden sind vertreten. Das für die damalige Zeit modernste Blatt darunter ist eine Kreidelithografie von Munch: eine Parkansicht mit abstrahiert dargestellten Bäumen.

Dass eines der Gemälde Claude Monets zur Waterloo Bridge von 1902 ein Glanzstück der Sammlung war, schien klar schon beim Ankauf aus dem Kunstsalon Paul Cassirer 1904. Die Wolffsons bestimmten es fünf Jahre später zum Vermächtnis an die Kunsthalle. Aber nach dem Tod Albert Wolffsons, dem Tod von zweien der drei Söhne im Weltkrieg und den politischen Änderungen und wirtschaftlichen Problemen der Weimarer Republik musste die Kunsthalle das Werk dann 1924 von der Witwe ankaufen, ebenso wie schon ein Jahr zuvor drei Zeichnungen von Menzel. Nur ein weiteres Bild Monets befindet sich bis heute in der Sammlung der Kunsthalle: Es ist das Stillleben „Birnen und Trauben“ von 1880. Auch hier hatte Wolffson als Mitglied des „Vereins der Kunstfreunde von 1870“ beim Ankauf mitgewirkt. Die beiden Monets werden aber nicht in der Kabinettausstellung gezeigt, sondern hängen prominent in der gerade neu präsentierten Impressionisten-Abteilung.

Dass es ein Glanzstück der Sammlung war, schien schon beim Ankauf 1904 klar: Claude Monet malte zwei Jahre zuvor die Londoner Waterloo Bridge Foto: Elke Walford © Hamburger Kunsthalle / bpk

Zu Lebzeiten Wolffsons am meisten beachtet wurden seine 36 Handzeichnungen des Berliner Realisten Adolph von Menzel (1815–1905). Neun davon bilden jetzt das Kernstück der Ausstellung, sie sind sogar der eigentliche Anlass. Denn obwohl schon vor 1933 die Erben Teile der Sammlung aus wirtschaftlichen Gründen umfänglich verkauften, gerieten sie nach 1933 unter immer stärkere Repressalien des NS-Staates. 1938 kam Alfred Wolffsons Sohn Ernst Julius ins KZ Sachsenhausen, die Menzelzeichnungen kamen an den zwielichtigen Hamburger Kunsthändler Hildebrand Gurlitt. Der nach den irren NS-Rasseregeln als „Vierteljude in Mischehe“ klassifizierte Ernst Julius Wolffson kam nach einigen Wochen wieder frei. Einige der Menzelzeichnungen kamen dann 2012 im juristisch bis heute umstrittenen, sogenannten „Schwabinger Kunstfund“ des Gurlittsohns Cornelius wieder zum Vorschein.

Nach verschiedenen Restitutionen von sechs Zeichnungen an die Erben der Familie haben die dann diese der Hamburger Kunsthalle als Dauerleihgabe überlassen. Und so kann die Öffentlichkeit wieder staunen, wie mit bloß einem Grafitstift auf Papier das flirrende Sommerlicht unter den Bäumen vor einem Landhaus einzufangen ist. Mag die Rückgabe verfolgungsbedingt entzogener Werke ein materieller Korrekturversuch an geschichtlichem Unrecht sein, die öffentliche Erinnerung an die willkürlich gebrochenen Leben ist vielleicht noch wichtiger. So seien diese Memorial­ausstellung und das begleitende Buch empfohlen.

„Von Menzel bis Monet. Die Hamburger Sammlung Wolffson“: bis 27. 3., Kunsthalle Hamburg, Harzen-Kabinett. Freier Eintritt bis 25 Jahre, es gilt 2G+