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Archiv-Artikel

Schmutziger Kleinbus

Vor jeder Übertragung der „Bangbus“-Szenarien in die Realität wird ausdrücklich abgeraten: Ein neues serielles Format der US-amerikanischen Internet-Pornografie wirkt authentischer, als Pornos eigentlich wirken sollen. Nun ist es Gegenstand einer heftigen Debatte, die bis in akademische Kreise reicht

VON ROBERT DEFCON

Der Fahrer des schmutzigen Kleinbusses heißt „Ugly“, der Kameramann „Dirty“. Was zunächst eher nach „Beavis and Butthead“, den notorisch analen MTV-Comicfiguren, klingt, ist in Wahrheit US-amerikanische Internet-Porno-Avantgarde: Ein neues, dem Anspruch nach echteres und härteres serielles Format, gedreht mit verwackelter Handkamera, fast ohne Schnitt, das als „Reality Porn“ bekannt wurde und sich seit der Erfindung des „Bangbus“ vor zwei Jahren explosionsartig auch bei anderen Anbietern verbreitet. So fährt der aus Miami stammende Bus mit seinen manchmal bekifften oder betrunkenen Insassen durch Südflorida, also dem US-Bundesstaat, der nicht nur durch den Präsidentenbruder Jeb Bush regiert wird, sondern in den Fünfzigern auch einer der Gründerstaaten US-amerikanischer Pornos war.

Die Frauen werden auf der Straße aufgegabelt. Unter Vorwänden, wie einem vorgeblich neutralen Interviewanliegen, einem Job in der Filmindustrie oder mit Geldköder werden sie von „Dirty“ aka „Sanchez“, nie selbst im Bild, in den Bus gelockt und mit einer Mischung aus ständig intimer werdenden Fragen, Komplimenten, weiterer Geldbestechung, alberner bis kranker Komik, Einfühlungsvermögen und verbaler Gewalt zu schrittweisem Ausziehen, Blowjob und schließlich Sex (mit oder ohne Kondom) mit einem in jeder Ausgabe wechselnden Dritten überredet. Und der hat sowieso Lust auf Sex, während der Fahrer auf die Straße und manchmal in den Rückspiegel schaut und Sanchez den bekleideten Animateur gibt. Zum Abschluss werden die Frauen um das versprochene Geld geprellt, zuweilen sogar bestohlen und irgendwo im Nirgendwo auf die Straße gesetzt.

Das erinnert in seiner white trashigen Arschlochtour tatsächlich an „Beavis und Butthead“, in seiner Brutalität auch an die Selbstverstümmelungssendung „Jackass“, nur dass an die Stelle von ekelorientierten Mutproben und mutwilliger Selbstschädigung ein angefixtes Verführungsgespräch tritt, das die beteiligte Frau feucht reden will und die Zuschauer vor den Computerbildschirmen in seinen Bann zieht. Rund 100.000 „Hits“, was allerdings ein statistisch eher unglaubwürdiges Maß der Nachfrage ist, erzielt die Seite www.bangbus.com laut Anbieter täglich. Zudem kursieren die Videos als leicht zugängliche Raubkopien durch p2p-Netzwerke.

Die sich aufdrängenden Fragen nach Echtheit auf der einen Seite und Frauenfeindlichkeit auf der anderen Seite werden in den längst einschlägigen Internetforen, in der US-amerikanischen Presse und inzwischen auch in akademischen Arbeiten diskutiert, mit Fan-Bekenntnissen auch von etlichen Frauen. Die Informationspolitik der Produktionsfirma „Bangbros. Productions“ selbst ist in Sachen Authentizität alles andere als eindeutig. Zwar ist dem „legal disclaimer“ auf der Homepage zu entnehmen, es handle sich durchgehend um angeheuerte, gesundheitlich geprüfte, vorab über den Plot informierte und bezahlte DarstellerInnen, was auch durchaus den Gepflogenheiten im Geschäft entspricht. Von jeder Übertragung von Bangbus-Szenarien auf die Realität wird im Disclaimer ausdrücklich abgeraten.

Diese eindeutige Klarstellung halten jedoch etliche Fans für unglaubwürdig angesichts der gefühlten Echtheit des Plots: „Bangbus ist kein massenproduzierter Fake-Porno, der Sex zeigt, den keiner hat.“ Zumal die Selbstdarstellung auf der Homepage dann schon ganz anders klingt: Demnach fährt der Bangbus auf der Suche nach der „inneren Schlampe (…) jeder Frau“ durchs Land und sei mit Aufzeichnungen zurückgekehrt, „die euer Gehirn nicht akzeptieren wollen wird, aber hinnehmen muss. Die Fakten sind unbestreitbar“, nicht ohne mögliche Kritik zu ironisieren: „Hier sieht man menschliches Verhalten, das an seinen Furcht erregenden Tiefpunkt gebracht worden ist.“

So spricht zwar auf der einen Seite alles dafür, dass es sich um inszenierte Produktionen mit den üblichen Porno-Castings handelt. Rund 700 US-Dollar sollen die DarstellerInnen laut einem Zeitungsbericht für einen Dreh erhalten. Die Produzenten selbst, zu denen Sanchez wohl gehört, dürften inzwischen Pornomillionäre sein. Legal ist das Ganze nach Angaben der örtlichen Polizeibehörden auch. Doch die Beziehungen zwischen Produktionsbedingungen und Medium werden von den Produzenten genauso diffus gehalten, wie die Frage nach dem Echtheitsgehalt zweideutig beantwortet wird.

Dabei gilt Eindeutigkeit in diesem Zusammenhang in der seriöseren Pornofraktion zuweilen als die Krux: Nur bei Freiwilligkeit von Darstellern womöglich mit eingebauter Exit-Option (der Darsteller kann jederzeit aus der Situation zurücktreten) gelten Pornospiele als verträglich, sprich: vertraglich, sodass paradoxerweise Reality-Porno gerade dann als okay gilt und eventuelle Misogynie-Verdächtigungen zerstreuen kann, wenn er inszeniert ist, denn nur so lässt sich die feine Trennlinie zwischen alltäglichem Respekt und pornografischer Inszenierung installieren.

Bangbus-Gegner hingegen schließen Real- und Fiktionsebene kurz: Der Bangbus „regt dazu an, den Schmerz anderer zum eigenen Vergnügen zu missachten“, schreibt eine Kritikerin in einem Onlineforum. Was hier passiert, sei für Frauen entwürdigend. Punkt. Egal ob sie zugestimmt haben oder nicht, werden sie ihrer Subjektivität durch den Pornozyniker Dirty Sanchez beraubt.

Der auffälligste Unterschied zum Hardcore-Porno der Neunziger ist aber neben dem antiglamourösen bad taste gerade der nervige Typ, Sanchez, der Voyeur, der stillschweigend zwar immer bei Porno mit dabei ist, hier aber zum Animateur wird, und die Darstellerin von ihren rebellischen und schmutzigen, pornopopkulturellen Lüsten sprechen macht, indem er sie mit Geld, Komplimenten und Lustversprechen lockt und Intimitäten zur Bildoberfläche fördert, den Widerstand überwindend (falls vorhanden), auch: sie zur Komplizin macht, etwa wenn er sie überzeugt, dass der Sex geiler sein wird als mit ihrem Freund. Sie soll sich dabei schön verdorben vorkommen.

Die pornografische Vertragsfiktion ist dabei einerseits ins Format eingebaut, wenn Dirty Sanchez fortwährend wie nach einem Handbuch für politische Korrektheit für jeden Schritt ihr Einverständnis einholt. So inszeniert der Bangbus sexuelle Selbstermächtigung der beteiligten Frau. Und sie widerspricht. Sie wehrt sich. Sie übernimmt die Kontrolle. Andererseits wird die Darstellerin von Sanchez mit Bitch- und Nuttenbeleidigungen brüskiert, der im Nachsatz gleich beteuert: „Wir respektieren Frauen“, so der teils ironisierte, teils ernst genommene, zumindest ständig thematisierte Antisexismus des Anmachers. Darauf folgen gleich neue Handlungsanweisungen. „Schau in die Kamera, Sweetie“ ist eine der harmloseren Aufforderungen, der Befehl, beim Blowjob ein Lied anzustimmen, eine der absurderen. Ihr Höschen hängt sich Sanchez an die Kamera, singt schwachsinnige Reime über Vaginas, wirft mal mit Plastikskelettteilen, mal mit Plüschtieren, reißt ständig Witze, sei es auf ihre Kosten, sei es als Selbstverarschung. Manchmal kann sie auch nur noch sagen: „Sanchez, halt’s Maul!“ Der Typ nervt. Eben ein Arschloch.

Der sowohl angebetete wie herabgesetzte Gut/Böse-Fetisch, um den es sich hier dreht, ist ähnlich wie in vielen Rap-Formaten die Bitch/Nutte/Schlampe, die im Bangbus-FAQ mit krudem Biologismus als Naturtatsache gedeutet wird: Möglicherweise gehe es der Frau eben darum, möglichst viel Nachkommenschaft zu produzieren, so als wäre der Bangbus eine Art Mama-Maschine. Real ist es natürlich weniger die Natur als die sprachlich inszenierte Situation selbst, die die teilnehmende Frau zur Schlampe werden lässt: Der Bangbus ist eine motorisierte Schlampenmechanik, ein verwickeltes S/M-Spiel mit der Subjektposition, ein Changieren zwischen Souveränität und Unterwerfung der beteiligten Frau, die „es“ am Ende natürlich genauso will wie der männliche Darsteller, sonst wäre es kein Porno. Erst die Schlusssequenz, wenn die Frau geprellt, bestohlen und rausgeworfen wird, buchstabiert die sadistische Position der Produzenten mit grölendem Gelächter aus. Jede Woche neu.