: Polnisch für Anfänger
Das Stardom einer Dorota Maslowska, der Tod des Papstes und die Gratulationen zum neuen Papst, die Absage des CSDs in Krakau und die Geschlechtslosigkeit junger Dichter in der Ukraine: Was eine junge deutsche Schriftstellerin während eines Aufenthaltsstipendiums in Krakau erlebte
VON ARIANE GRUNDIES
Das Stipendium
Im Rahmen eines Aufenthaltsstipendiums verbrachte ich drei Monate in der Krakauer Villa Decius. Hier residierte ich zusammen mit zwei ukrainischen und zwei polnischen Autoren sowie einem deutschen Kollegen, um laut Ausschreibung den Dialog über die Rolle der Kultur im zukünftigen Europa fortzuführen.
In der Praxis sah das so aus, dass wir uns dann und wann, wie es gerade kam, in der Gemeinschaftsküche des Hauses trafen, uns über die Vielzahl der Ameisen wunderten und deren Arbeitswege diskutierten. Die Ameisenplage wurde erfolgreich bekämpft, und so kam es auf natürlichem Weg zu einem thematischen Richtungswechsel in unseren Gesprächen.
Der Papst
Der Villa Decius schließt sich einen Park an, worin ein muschelähnliches Haus steht, ein Galerie-Café, in dem wir hin und wieder einen Kaffee tranken und ein Stück Kuchen aßen. Dort saß täglich auch eine kleine Familie an einem Tisch und wartete auf Kundschaft.
Anfangs starrte diese merkwürdige Familie (falls es sich bei den dreien überhaupt um eine Familie handelte) auf einen Fernseher, der den Tod des Papstes ein paar Tage lang dokumentierte. In der Stadt wimmelte es zu Beginn auf dem größten und schönsten Platz Europas von Touristen und Tauben, die zwischen den eindrucksvollen Bauwerken in Krakaus altem Zentrum Straßenzüge formierten wie die Ameisen in unserer Küche. Krakau war proppenvoll, die Internetseiten schwarz, das Fernsehprogramm eintönig, Konzerte wurden abgesagt, konsequent. Selbstverständlich waren auch die Kirchen voll, auch nach der Abreise der Pilger, die alle so jung waren: die jungen Mädchen in der Schlange vor dem Beichtstuhl mit ihrem schlechten Gewissen – ich möchte lieber nicht wissen, worin begründet.
Meine polnische Mitstipendiatin, Dorota Maslowska, veröffentlichte einen Artikel zum Papst in der FAZ. Piotr Czerski, der zweite Pole, schreibt im Auftrag ein ganzes Buch über den Papst. Papst überall. „Congratulations“, sagen die Polen, als ich nach einem ukrainischen Lyrikfestival zum Biertrinken dazustoße. Oh, danke, for what? Ah ja, der neue Papst, ein Deutscher, der Rottweiler. Danke, danke.
Die EU-Grundrechte
Weil der Papst gestorben war, entschied man sich, den Christopher Street Day in Krakau ausfallen zu lassen. War vielleicht keine schlechte Idee angesichts der Tatsache, dass letztes Jahr, als der Papst noch lebte, die circa 1.500 Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Krakauer CSD von rechtsradikalen und religiös-fundamentalistischen Steinewerfern angegriffen worden waren. In Warschau wurde der CSD, wie schon im letzten Jahr, erneut verboten – das mag in irgendeiner Weise auch mit dem Papst in Verbindung zu bringen sein. Claudia Roth flog ein, um darauf aufmerksam zu machen, dass Polen zweifellos gegen ein paar Grundrechte der EU verstoße.
Die Vertriebenen
Polens EU-Beitritt war jedoch überraschenderweise kein Thema, mit dem ich konfrontiert wurde. Ohne Umschweife kam man zu jeder Zeit, an jedem Ort auf das eigentliche Sujet: Geschichte. Dieser Diskurs, von einer deutschen Journalistin, die zu derselben Zeit Gast in der Villa Decius war, immer mal wieder durch gekonnte Provokation vorangetrieben, beschäftigte sich nicht nur mit der Täter-Opfer-Frage, sondern vor allem auch mit dem Fakt der Vertreibung. Nahe liegend, wenn man weiß, dass ebenjene deutsche Journalistin das Zentrum für Vertriebene in Berlin unterstützt, und ebenso nahe liegend, wenn man Deutsche, Polen und Ukrainer in einer Küche zusammenbringt. Hey, sagte ich einmal zu Piotr Czerski, nimm mal deine Klamotten aus der Waschmaschine. Piotr antwortete: Ich habe meine noch gar nicht reingetan, die gehören Ljubko. Warte, ich werde ihm sagen, er soll sie rausnehmen.
Die Superstars
Selten kamen wir mit den beiden Stars unserer Gruppe zusammen: dem polnischen Superstar Dorota Maslowska und dem ukrainischen Jungstar Ljubko Deresch. Die Aufregung in Deutschland um Dorota Maslowska war mir seinerzeit entgangen. Da mir jedoch ziemlich schnell jemand steckte, Maslowska wäre die öffentliche Figur überhaupt, sie würde von den Medien geradezu vergewaltigt, wunderte mich ihre – nennen wir es – Zurückgezogenheit nicht. Trafen wir uns, war sie nett und cool und setzte ihr Baby zur Belustigung auf den Küchentisch.
Von Ljubko Deresch wird Ende des Jahres im Suhrkamp Verlag ein Buch erscheinen. Auch Ljubko lebte bei uns zurückgezogen oder oft gleich ganz abwesend. Trafen wir ihn in der Küche, bot er uns ukrainische Suppen an und erzählte höflich abstruse Dinge mit einer ungewöhnlichen Ernsthaftigkeit – gerade wenn man bedenkt, dass er erst 21 Jahre alt ist. Was wiederum nicht heißt, er könne nicht bereits drei Bücher veröffentlicht haben – denn das hat er. Als auf einer Preisverleihung für polnisch-deutsche und deutsch-polnische Übersetzungen Dorota Maslowskas Übersetzer einen der beiden Preise bekam, ging die Nobelpreisträgerin Wislawa Szymborska sehr nah an mir vorüber, ein ehrwürdiges Gefühl. Überhaupt hat Literatur in Polen etwas Ehrwürdiges. Es wird zusammen an einem Tisch gesessen und diskutiert, sich zuweilen sogar geprügelt. Literatur bedeutet pure Ernsthaftigkeit, und wenn es um den Banalismus geht, der vor wenigen Jahren hoch aktuell war. Es gibt zwei Helden der Szene mit sehr unterschiedlichen Schicksalen: ein Autor, der ehemals sehr erfolgreich war, schlägt sich seit zehn Jahren mit einer Schreibkrise herum; der andere Autor, der noch immer erfolgreich ist, hat sich in ein kleines Bergdorf zurückgezogen.
Noch mehr Stars
Meine ukrainische Mitstipendiatin Halyna Kruk lacht beinahe ununterbrochen: aus Verlegenheit, aus Freude und auch, weil alles so schlimm ist. Beim ukrainischen Lyrikfestival war sie die einzige Frau. Das ist immer und überall so, sagt sie, die in Lviv Dozentin für Literatur ist. „Dichter haben kein Geschlecht“, lautet der Titel eines ihrer Gedichte – Halyna sagt, in der Ukraine versuche man möglichst wenig über sie zu sprechen. Dann lacht sie wieder.
In einem englischen Buchladen wies ich Halyna auf ein Buch von Sylvia Plath hin und fragte, ob sie sie mögen würde. Kenne ich nicht, antwortete sie, bei uns ist noch nicht so viel übersetzt. Ich schaute verwundert, weil mir bei der Gelegenheit auffiel, dass ich außer Juri Andruchowytsch nicht besonders viele ukrainische Autoren kenne. Als ich Andruchowytsch an einem Abend die Hand schüttelte, fiel mir wieder ein, wie jemand sagte: Die brauchen doch gar keine Übersetzungen. Russisch können die Ukrainer doch, und ein Dostojewski hat doch schon alles gesagt.
Später stieß Kacka zu uns, ein Vogelkundler im Radrenndress, Wagnerianer und Slampoet. Ich habe hier in Krakau alles erreicht, sagte er, bald ziehe ich nach Berlin und mische die Literaturszene auf.
Die Villa Decius
Neben der Villa Decius gibt es einen Reiterhof. Steht einem der Sinn danach, kann man dort jeden Tag mindestens fünfzehn Stunden einer uralten Pani dabei zusehen, wie sie Steine auf eine Schubkarre lädt. Es ist besser, nicht dort zu reiten, sagte man uns, die Reiterhofbesitzer mögen die von der Villa nicht. Früher gehörte denen die Villa mal. Als sie dann verfiel, sagten sie: Hier, ihr könnt sie haben. Seitdem aber die Villa nun prächtig auf einer Anhöhe im Park residiert, wollen sie sie gern zurückhaben.
Die Funktionsweise der Villa Decius haben wir bis zum Schluss nicht durchschaut. Sie ist ein öffentliche Gebäude, doch will man herein, muss man klingeln und dem Pförtner durch die Sprechanlage, wenn möglich auf Polnisch, sein Anliegen schildern. An den Wochenenden tanzten oft Kinder in weißen Kleidern mit Blumen im Haar um die Villa herum. Oder es posierten Damen in weißen Kleidern mit Blumen in den Händen für Fotografen.
Manchmal stand abends der Parkplatz voller Autos; dann gab es Vortrags- und Diskussionsabende mit Themen wie: „Don’t be afraid of Islam“ oder „Minority in Everyday Life – The Kurds“ oder „Vietnamese in Poland“. Die Chefin der Villa Decius versuchte, uns den Mythos eines ehemaligen Stipendiaten nahe zu bringen. Wenn es regnet, sagte sie, dann steht da vor eurem Fenster ein Mädchen und singt. Es ist ein Geist. Weiter drüben, sagte sie und streckte den Arm grob Richtung Norden, gibt es ein paar Gräber.
Die Lebensmittel
Wo einst „Schindlers Liste“ gedreht wurde, befindet sich das Szeneviertel Krakaus, das Kazimierz. Im Kazimierz lebten 1938 etwa 65.000 Juden. Heute sind es circa 150, der Jüngste von ihnen ist 54 Jahre alt. Vom Kazimierz aus bringen Busse die Touristen nach Auschwitz, wo sie dann Hot Dogs essen können. Im Kazimierz isst man Zapiekanka, ein Baguette mit Pilzen, Käse und viel Ketchup, gegen Aufpreis auch mit Schnittlauch. Oder man isst dort, wo Spielbergs Filmstab aß. Im Kazimierz traf ich einen deutschen Journalisten. Wir aßen Pirogi, und er fragte, ob ich schon in Nowa Huta gewesen sei. Nein, aber in einem der ältesten Salzbergwerke der Welt, nur etwa zehn Kilometer von hier, in Wieliczka, sagte ich, dort bekommt man grandioses polnisches Eis. Und wo krieg ich die berühmten Würste her?, fragte er.
Ariane Grundies, geboren 1979 in Stralsund, ist Schriftstellerin. Zuletzt erschien von ihr der Erzählband „Schön sind immer die anderen“ im Piper Verlag, München 2004, geb., 173 Seiten, 15,90 €