: Geburtstagsparty ohne die Nachbarn
Drei Tage feiert Kaliningrad sein 750-jähriges Stadtjubiläum. Russlands Präsident Wladimir Putin mahnt engere Beziehungen zur EU an und tagt mit Kanzler Schröder und Frankreichs Staatschef Chirac. Litauen und Polen fehlen diesmal auf der Gästeliste
VON REINHARD WOLFF
„Wir sind ein wenig anders als andere Russen“, erzählt die 21-jährige Studentin Tatjana Matutznaja in die Kamera des finnischen Fernsehens. „Wir haben hier mehr Kontakte mit Europa.“ Und ihre gleichaltrige Studienkollegin Anna Jevmitjuk stimmt zu: „Wir werden mehr und mehr europäisch. Ich hoffe und glaube, dass unsere Stadt bald blühen wird und man sich nicht mehr für sie schämen muss. In zwanzig Jahren vielleicht sind wir dann so weit wie Europa.“
An Optimismus scheint es nicht zu fehlen in Kaliningrad, jedenfalls an diesen Jubiläumstagen nicht. Seit Freitag feiern die KalingraderInnen sich und das 750-jährige Jubiläum ihrer Stadt – unter dem Symbol des renovierten neugotischen Backsteintors, einst Teil des Königsberger Festungsrings. Höhepunkt dutzender Veranstaltungen war ein Jubiläumsumzug.
Doch auch eine Militärparade durch die von 4.000 Sicherheitskräften bewachte Innenstadt durfte nicht fehlen. Russlands Präsident Wladimir Putin betonte auf einer Rede am Samstag die engen Kontakte Moskaus zu Kaliningrad, äußerte jedoch auch den Wunsch nach engen Beziehungen zur Europäischen Union. „Wir sind interessiert an wirklich partnerschaftlichen, freundschaftlichen Beziehungen zur EU.“ In der Ostsee-Exklave seien sich europäische und russische Märkte räumlich nahe. Dies solle zum Aufschwung der westlichsten Provinz Russlands beitragen.
Dieser Aufschwung ist bislang weitgehend ausgeblieben. 1996 hatte Moskau dem Gebiet Kaliningrad mit seinen knapp 1 Million EinwohnerInnen den Status einer Sonderwirtschaftszone verliehen. Die Freihandelszone sollte günstige Bedingungen für ausländisches Kapital und Technologien schaffen, und die Exportmöglichkeiten der Region sollten ausgebaut werden. Pläne, Kaliningrad in eine Art „russisches Hongkong“ zu verwandeln, machten die Runde. Doch trotz der Nähe zu den europäischen Märkten wartet man noch immer auf den Investitionsboom. Hauptgrund ist die russische Bürokratie, angesichts deren viele westliche Investoren entnervt wieder aufgaben. Das schwer handhabbare Rechtssystem und die mangelhafte Infrastruktur sind weitere Hindernisse. So wurden 2004 gerade einmal 62 Millionen Dollar an ausländischen Investitionen registriert – die meisten aus Litauen.
Gestern traf sich Putin in Swetlogorsk, dem früheren Rauschen, mit Bundeskanzler Gerhard Schröder und Frankreichs Staatschef Jacques Chirac zu einem Dreiergipfel. Auf der Tagesordnung stand der am Mittwoch in Schottland beginnende G-8-Gipfel der führenden Industrienationen sowie der Konflikt um das iranische Atomprogramm. Es war der vierte derartige Dreiergipfel. Der erste hatte 2003 anlässlich der 300-Jahr-Feier von St. Petersburg stattgefunden. Hatte Moskau damals eine lange Liste ausländischer Staatsgäste eingeladen, beließ Putin es diesmal bei Chirac und Schröder. Bewusst überging er vor allem die nächsten Nachbarn aus Polen und Litauen, was in Warschau und Vilnius heftige Kritik auslöste. Polens Präsident Aleksander Kwaśniewski sprach von „mehr als einem Fehler“. Litauens Außenminister Antanas Valionis monierte das Verhalten des Bundeskanzlers, der angesichts einer solchen Gästeliste seine Teilnahme hätte in Frage stellen müssen. Auch scheute Valionis vor historischen Reminiszenzen nicht zurück: Diese Einladung sei eine „signifikante Markierung der Achse Berlin–Moskau“. Er habe den Eindruck, dass „Berlin nicht die gebotene Rücksicht auf die Spannungen nimmt, die es in dieser Region gibt“.
Bundeskanzler Schröder bewertete seine Einladung durch Putin als weitere Geste der deutsch-russischen Aussöhnung. Der Besuch in Kaliningrad schließe an seine Teilnahme an den Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag des Kriegsendes in Moskau an. Für Sonntagnachmittag stand ein Besuch Schröders und Putins in der Universität der Stadt sowie am Grab des deutschen Philosophen Immanuel Kant auf dem Programm.