: Vor dem Rückzug ins Private
KULTURKRISE Noch ist die Wirtschaftskrise in Berlin nicht so richtig spürbar, doch in der Kultur wird seit dem letzten Jahr schon einmal kräftig gespart, auch wenn viele Firmen ihre Sponsoringzusagen einhalten
VON ROLF LAUTENSCHLÄGER
Als im September 2008 die New Yorker Investmentbank Lehman Brothers Inc. nach Verlusten von über 4 Milliarden US-Dollar die Insolvenz anmelden musste, reagierten der Kunstmarkt, Mäzene, Kultur-Stiftungen und die Kulturpolitik auf die Krise überaus hektisch und es wurde sofort gespart.
Vergleichbar zu den Aktienkurven verhielt sich der Kunstmarkt. Vieles verlor an Wert. Mit dem Beginn der Finanzkrise begannen auch in Berlin Galerien zu schließen. Bereits auf der Kunstmesse Artforum Berlin 2008 war dies erkennbar. Es wurde deutlich weniger verkauft, wie auch Sabrina van der Ley, Leiterin der Messe, bemerkte.
Mit der Wirtschaftskrise zogen 2009 Großunternehmen als Sponsoren von Museen, Theatern, Orchestern und der Freien Szene oftmals die Reißleinen. Für Vernissagen fehlten plötzlich die großen Gönner. Nach der Ankündigung der Deutschen Bank Anfang 2009, ihre Zuschüsse für Kunstmessen zu kappen, zog der Energiekonzern EnBW nach, der das Berliner Theatertreffen nicht mehr sponsern will. Als weiterer großer Geldgeber kündigte im Frühjahr 2009 der Automobilkonzern Volkswagen (VW) seine Unterstützung für die Deutsche Oper auf. Dem Haus an der Bismarckstraße fehlen damit jährlich rund eine Million Euro. Bei einem Gesamtetat von 37 Millionen Euro stoße die Oper mit diesen Ausfällen nun „an totale Grenzen“, klagte Intendantin Kirsten Harms. Sowohl Arbeitsplätze als auch „künstlerische Ziele“ seien gefährdet.
In Berlin ließe sich die Kappungsliste für das laufende Jahr 2009 munter fortsetzen. Mit weniger Spenden muss die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) haushalten. Schlugen im Jahresbericht 2006 noch 2,5 Millionen Euro Spenden zu Buche, so lagen die Einnahmen 2008 bei „knapp zwei Millionen Euro“, wie Hermann Parzinger, Chef der Stiftung, sagte. Es sei „in aller Deutlichkeit abzusehen“, dass dies zukünftig noch weniger werden könnte.
Für die Berlinale stellte Festivalchef Dieter Kosslick den gleichen Trend fest: Bei den Sponsoren-Events seien Einbrüche von bis zu 50 Prozent zu verzeichnen. Ein Gleiches monierten Kindertheater, kommunale Galerien oder Tanzcompagnien. Für Museums- oder private Theatermacher, bei Ensembles und staatlichen Häusern „wird es jetzt insgesamt eng“, bei ihnen gehe „die Angst“ um, seit private Geldgeber wegen der Finanzkrise alles auf den Prüfstand stellen, fasste eine Dozentin der European School of Management die Problematik zusammen.
Dass das Geld auch in guten Zeiten nie reichte, erinnert gerade kaum einer. Denn mit der Krise droht ein Verlust anderer Art: der von Substanz und Qualität. Die Förderungen und das Sponsoring bildeten neben der öffentlichen Subvention tragende Säulen für die Kunst und Kultur, „sie machen zudem oft das Innovative, das Besondere im Kunstbereich möglich“, sagt Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats. Diese Mittel seien für den Kulturbetrieb unverzichtbar. Müssten Firmen ihre Mitarbeiter entlassen, „können diese kein Geld mehr für die Kultur geben“. Denn besonders imagefördernd wirke es nicht, wenn etwa Kurzarbeit angemeldet wird und die Firma gleichzeitig üppige Ausstellungskataloge finanziere.
Sieht Zimmermann nicht zu schwarz? Weil die Politik die Krise in der Jahresmitte recht erfolgreich managte, blieben massive Crashs bei Kultureinrichtungen aus. Firmen hielten sich an ihre vertraglichen Zusagen, der Staatsminister für Kultur, Bernd Neumann, oder auch Berlins Regierender Bürgermeister steigerte sogar Zuwendungen. Dem großen Panikmachen von Theatern, Museen oder in Galerien folgte eine relative Ruhe. Ebenso wie die Berliner Philharmoniker behielt beispielsweise die Staatsoper Unter den Linden ihre 30-Millionen-Euro-Spritze der Dussmann-Gruppe für die Sanierung des Hauses und die Unterstützung der Musikschulen in Berlin. Zwei Theater, das Schlossparktheater und die Tribüne, eröffneten sogar kürzlich. Den beiden Theatern am Kurfürstendamm gab das Land eine außerordentliche Finanzspritze von 300.000 Euro.
Olaf Zimmermann rückt von seiner These, dass „harte Einsparungswellen im Kulturbereich bevorstehen“, nicht ab. Im kommenden Jahr würden in den Ländern wie Berlin die fehlenden Gewerbesteuereinnahmen „richtig durchschlagen“. Zudem erfassten Haushaltseinsparungen und -sperren in erster Linie „den Kulturetat und die Freie Szene“.
Recht hat er. 1,6 Milliarden Euro weniger Steuern wird Berlin 2009 einnehmen. Die Finanzplanungen des neuen Berliner Finanzsenators für den Haushalt bis 2012/13 sehen etwa Kürzungen in Höhe von 474 Millionen Euro vor bei einer gleichzeitigen zusätzlichen Schuldenlast von fast 6 Milliarden Euro. Projektförderungen, institutionelle Förderungen oder auch Großvorhaben wie die Kunsthalle oder eine neue Bibliothek stehen auf dem Index. Der Neubau der Gemäldegalerie Alter Meister auf der Museumsinsel wurde vertagt.
Damit Kultur nicht vom Sponsoring oder Haushaltsverhandlungen abhängig bleibt, plädiert Zimmermann für neue Gesetze. „Kultur als Staatsziel“ müsse in die Verfassung geschrieben werden, damit diese in der Folge von Krisen „nicht im Regen stehen gelassen werden“. Vielleicht ist die augenblickliche Phase der Ruhe vor dem Sturm der günstigste, aber auch letzte Moment, noch viel zu retten.